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Der Neue (aus meinem aktuellen Projekt)

Der Neue liest sich wie ein Liebhaber. Wie ein Liebhaber, der warten kann. „Zu schade“, sage ich zu meiner Freundin Annemie, „dass er einer ist, der warten kann.“ Ich kenne solche nämlich schon, die warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag und zur Sicherheit noch ein paar Tage Zuschlag draufgegeben, und bis dahin warte ich ganz sicher nicht. „Ob er es genau darauf anlegt?“, meint Annemie und ich liebe sie dafür. Weil sie versteht, in welche Richtung sich die Welt dreht, zugegeben: meine Welt. „Ein Liebhaber mit Sicherheitsabstand“, sage ich, „wie lächerlich!“ und finde, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Annemie findet das auch und da heben wir auch schon unsere Gläser auf die Liebe. Am Nachbartisch sitzt eine ziemlich alte Frau, ziemlich verwittert, aber mit knallrot gefärbten Haaren (echt!). Sie hat sich das Tagesmenü bestellt und wartet auf die Suppe. „Frittatensuppe gibt es heute!“, ruft sie zu Annemie und mir herüber. Ich schaue angestrengt in mein Glas (als ob der Neue drinsitzen würde) und tue so, als ob ich die Alte vor lauter Konzentration nicht gehört hätte. Annemie nickt ihr aber zu, weswegen uns die Alte auch noch darüber informiert, was es als Hauptspeise geben wird: Steirisches Krenfleisch mit Kümmelerdäpfeln. Annemie schaut auf diese seltsam abwesende Art freundlich drein, wie es nur sie es kann, und nickt erneut. „Nicht dass du mir eine Jasagerin wirst!“, flüstere ich ihr zu. Sie grinst und dafür liebe ich sie schon wieder. Der Neue sitzt immer noch unten im Sektglas wie eine rot aufgehende Hibiskusblüte, genau wie es vor ein paar Jahren modern war. ‚Hi-Bis-Kuss‘, denke ich und finde den Neuen samt seiner Warterei eigentlich eh nicht so schlecht. 

 



 

Kommentare

  1. Warten auf den neuen Godot?! :--)

    Schöne Grüsse in den Hibiskus(s)-Tag,
    Brigitte

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    1. Leicht möglich!!! :)))
      Schöne Grüße zurück und mögen dir jede Menge Hibiskusblüten blühen! :)

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