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Es werden Posts vom Mai, 2022 angezeigt.

Eigentlich mag ich Montage. (Ausschnitt)

 Eigentlich mag ich Montage. Ich mag ich auch den frühen Morgen und den ersten Jänner und den Frühling und wahrscheinlich sogar Neugeborene (das vermute ich aber nur, weil ich nie ein Neugeborenes gesehen habe, Annabelle war schon ein paar Wochen alt, als ich sie das erste Mal im Arm hatte). Da liegt noch ein ganzes Leben, ein ganzes Jahr und alle Jahreszeiten, eine ganze Woche oder ein ganzer Tag vor einem. Alles ist noch möglich, alle Wünsche können noch erfüllt, alle Träume können noch wahr werden. Der Dienstag ist der schlechteste Tag der Woche. Da weiß man wieder, dass gar nichts möglich ist, dass kein Wunsch erfüllt und kein Traum wahr wird, und man hat noch sechs Tage bis zum nächsten Montag. Manchmal ist das Montagsgefühl aber schon am Montag zu Mittag vorbei, wenn du eh schon mit Kopfweh aufgewacht bist, weil das Wetter mal wieder verrücktspielt oder der Kreislauf oder du hast gestern Abend doch ein Glas zu viel getrunken. Wenn du ins Büro kommst und da steht die Luft eines ga

Hermannliebe

(Schön langsam wird es schwierig, weil hier ja nur Ausschnitte stehen, der Zusammenhang mit anderen Textteilen oft einmal nicht ersichtlich ist, da müsst ihr euch was Passendes dazudenken. ;) )  Seit Hermann wild entschlossen ist, eine Zukunft zu haben, bin ich vorsichtig geworden. Ich lade ihn nicht mehr zu mir ein, und falls er echt noch einmal so überfallsartig kommen sollte, werde ich ihn direkt an der Tür abfertigen. Kein Schritt mehr in meine Wohnung, kein Schritt mehr auf meinen Teppich! Und ich baue vor, erzähle ihm ausführlich von dem Neuen, den ich über eine Dating App kennengelernt habe. Erzähle ihm, dass es da extra Apps für unsereins gibt. „Für den zweiten oder dritten Frühling“, sage ich. Hermann lacht und ich hoffe, dass er verstanden hat, was ich ihm damit sagen will. Ich besuche ihn nämlich gern in seinem Garten – ich mag das Gemächliche, die Ruhe und die Farben –, ich höre ihm auch gern zu, wenn er mir (jedes Mal wieder) die Namen der Pflanzen und ihre botanischen Bes

Ich könnte (Ausschnitt)

Ich überlege, ob ich Georg anrufen soll. Ich könnte ihn wie früher fragen, ob wir rausgehen wollen. Er würde „Ja“ sagen und fünf Minuten später würde es unten läuten, ich würde „Gleich!“ rufen und mir noch schnell Kniestrümpfe anziehen und eine Jacke umwerfen, damit meine Mutter mich nicht am Haustor abfangen und ins Zimmer zurückschicken kann: „Geh dir sofort was anziehen, sonst holst du dir noch den Tod!“ Wir würden in den Mogatschwald hinüberlaufen und weiter an unserer geheimen Hütte bauen. Es ist schön warm unter der Decke, ich ziehe sie mir bis unters Kinn. ‚Schön wäre das gewesen ‘, denke ich und drehe mich auf die Seite. Ich stelle mir vor, dass ich eine Rolle rückwärts mache, und als ich wieder aufstehe, stehe ich mitten in meiner Kindheit. Sie ist noch ganz leer, ich fange einfach noch einmal von vorne an. Wie ich mich so umschaue (grüne Wiesen, lauter grüne Wiesen) höre ich meine Mutter unten in der Küche herumwirtschaften. Besteck scheppert, Teller klappern, sie scheint den

Sonntagsgrüße (und Auskunft, wer hier die meiste Gartenarbeit macht ... ;) )

 

Fototag :)

 

Ein Bild

Die größte Kostbarkeit meines Vaters war ein Bild von Nitsch. Es hing natürlich nicht in der Ordination, aber auch im Wohnzimmer sorgte es für manch überraschten Blick von Gästen, die zum ersten Mal zu Besuch war. „Und sowas gefällt dir?“, das war die häufigste und harmloseste Reaktion, aber wenn der Abend fortgeschritten war und der Alkoholspiegel für deutlichere Töne sorgte, gab es immer wieder regelrechte Wortgefechte. Grad dass kein Blut geflossen ist, um das ja immerhin gestritten wurde. Speziell der Pfarrer war ein erbitterter Gegner von Nitsch, dessen Namen er nicht einmal in den Mund nahm, er sagte nur „dieser sogenannte Künstler“, wenn es wieder einmal um das Bild ging und warum sich ein gebildeter Mann wie mein Vater so einen gotteslästerlichen, blutrünstigen Dreck an die Wand hängt. Ja er unterstellte meinem Vater gelegentlich sogar, dass dieser Faible für diesen sogenannten Künstler ein durchaus bedenkliches Interesse an Blut offenlege (gerade für einen Arzt!), worauf ihm m

Ich erzähle von Filo

Ich erzähle von Filo, wie ihr das Wilde vergangen ist, weil ihr der Hund gestorben ist. Ich erzähle, dass sie diesen Hund – wenn man das so sagen kann – mit einer Affenliebe geliebt hat. Ich erzähle, dass er ihr Ein-Und-Alles war, emotional wäre sie komplett verloren ohne ihren Buzzi, ihr Buzzi sei einfach ihr Leben, hat sie noch vor ein paar Tagen gesagt und dabei die Augen aufgerissen und die Brauen hochgezogen, als ob sie mir die größte Bedeutsamkeit ihres Lebens anvertrauen würde. Wir treffen uns öfter unten am Donaukanal, weil man mit einem Hund ja Gassi gehen muss. Wobei Buzzi eh so verwöhnt war, dass er nicht in den Gassen Gassi gehen wollte, Buzzi brauchte den weichen Untergrund von Gras. Auch mit dem Gehen hat er es nicht gehabt, er war einfach ein fauler Sack, mehr als die paar Schritte bis in die Wiese waren selten drin, weswegen wir meistens nach kürzester Zeit alle drei in einem der Lokale gesessen sind, die da unten am Donaukanal schon vor etlichen Jahren aus dem Asphalt

In einer Minute der Schwäche (Ausschnitt)

In einer Minute der Schwäche habe ich Georg die Geschichte von Ella erzählt und wie enttäuscht ich war, als nicht einmal Ina mich so gerufen hat. Georg, der immer noch weiß, wie es geht, hat seine Chance natürlich sofort erkannt. Erkannt und genützt: Er sagt neuerdings nicht mehr Gabi, sondern Ella zu mir. Ja, er kämpft. Wahrscheinlich hat er vor lauter Langeweile zu viel ferngesehen und da hat er wohl gelernt, dass man kämpfen muss. Ums Glück, um den Erfolg, um die Liebe, um die Schönheit, um die Gesundheit - einfach um alles. Man versteht schnell, dass nur wer kein Unglück, keine Niederlage, keine Hässlichkeit und keinen Rückfall, dass nur wer am Ende kein Nein akzeptiert, der große Gewinner sein wird. Kämpfen muss er halt bis zum letzten Tropfen (Blut oder Schweiß oder Alkohol). Georg kämpft auch, und wie es aussieht, kämpft er um mich. Kann allerdings auch sein, dass er um sich kämpft, was eh auf dasselbe hinausläuft: ‚Es ist Krieg, Baby‘, denke ich und rüste mich mit allem, das ic

Nochmal Zappletal und Oswald (Ausschnitt)

  Gestern, ich war schon beim Heimgehen, bin ich zu meinem Pech dem Oswald direkt vor die Füße gelaufen. Ob ich weiß, was mit der Zappletal los ist, sie würde auf keine seiner Nachrichten antworten, es wird ihr doch hoffentlich nichts passiert sein, … der Oswald ist ganz aus dem Häuschen wegen der blöden Zappletal. Ich erzähle ihm das mit dem Zeckenbiss, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob das überhaupt stimmt. Vielleicht ist der Zeck nur ein neuer Typ, zutrauen würde ich ihr das. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie wegen der Freiheit und einem Kerl in Krankenstand geht. Die Zappletal hat, wenn es um Kerle und ihre Freiheit geht, null Moral, und sie hat jede Menge Kerle. Freiheit? Ansichtssache. Dass sie ihn nach Strich und Faden bescheißt, weiß der Oswald natürlich nicht, und ich weiß es auch nur, weil sie eine Nachbarin von Annemie ist, und die macht mir immer wieder entsprechende Andeutungen. Mehr weiß ich leider nicht, weil Annemie leider keine Tratschen ist. „Oswald, du darfs

Über die Zappletal, einen Zeckenbiss und die Freiheit

Die Zappletal ist krank. Sie hat sich vor vierzehn Tagen am Land einen Zeck eingefangen, jetzt hat sie Fieber und ich ihre Arbeit am Hals. (Wäre gescheiter gewesen, wenn ich ihr den Journaldienst nicht abgenommen hätte, da hätte sie erst gar nicht aufs Land fahren können. Karma. Das ist Karma, Baby!) Dass sie jetzt zuhause festhängt, wird sie aber speziell hart ankommen, weil sie doch in ein paar Tagen auf Urlaub gegangen wäre. Endlich einmal wieder nach dem ganzen Coronascheiß. So richtig weit weg. Bali oder die Malediven, das weiß ich jetzt nicht mehr, ist eh alles dasselbe. „Endlich wieder Freiheit!“, hat sie herumtrompetet, und dass sie es nicht leiden kann festzusitzen, dass sie fast eingeht, wenn sie die ganze Zeit in Wien angebunden ist wie so ein Sträfling. Tja, nun ist sie angebunden und das im Bett und das mit Fieber und nicht mit dem Oswald. Mit dem hat sie nämlich ein Pantscherl. „Nur ein Pantscherl“, betont sie, weil sie ihre Freiheit eben über alles liebt und viel mehr li

Die Zukunft von Hermann (Ausschnitt)

Plötzlich steht Hermann da, in der Hand ein Aida-Schachterl, er hat sich zum Kaffee eingeladen. „Wie nett!“, lüge ich. „Ich war zufällig in der Gegend, da hab‘ ich mir gedacht, ich schau‘ wieder einmal bei dir vorbei“, lügt er. „Komm doch rein!“ Wenigstens habe ich seit Corona einen Grund, das BussiBussi abzulehnen. „Sei mir nicht bös‘, aber ich bin lieber vorsichtig.“ Ich deute auf mich: „Risikogruppe!“ Hermann lacht, weil er das für einen Witz hält, den er nicht verpassen will. Er werde in Zukunft nämlich nichts und niemanden mehr verpassen, erklärt er mir eine Viertelstunde später, als wir beim Kaffee und den Kardinalschnitten sitzen (immerhin sind’s Kardinalschnitten, das hat er sich wenigstens gemerkt) wie zwei alte Weiber, denen ohne Kaffee und Kardinalschnitte so fad wäre, dass sie sich gleich zum Sterben ins Bett legen müssten. „Es ist Krieg, Baby“, sagt Hermann auf einmal, wie immer ohne ein G’spür für irgendwas, und ich im Reflex: „Red‘ nicht so blöd daher.“ Weiß die Hölle, w

Manche Tage

Manche Tage rutschen einfach durch. Widerstandslos. Andere kleben an den Hosenbeinen wie Kletten, findet Ina. Sie hat nämlich ihren Liebhaber abserviert. Er war ihr zu possessiv, sagt sie. Aber so oft, wie sie das wiederholt, und mit welcher Hingabe sie sich dieses Wort zusammenreimt und mit welchem Genuss sie es dann Stück für Stück aus dem Mund entlässt, ihm dann noch sekundenlang hinterher hört, als ob ihr der Abschied von ihm schwer fiele … Also ich habe den Verdacht, dass sie es einfach nur einmal verwenden wollte. Dann wäre Inas Liebhaber für ein Wort gestorben, was durchaus zu ihr passen würde. Zu ihm übrigens auch, denn er war wirklich possessiv, wollte über jeden ihrer Schritte Bescheid wissen, wenn er nicht ohnehin neben ihr gegangen ist, um sie jeden Moment seiner Liebe versichern zu können. Ihr Tisch war sein Tisch, ihr Bett war sein Bett, ihr Handy war sein Handy. „Der Scheißkerl war einfach zu possessiv“, sagt Ina. Manchmal macht ein einziges Wort den Unterschied, denke i

In-The-Meantime

In seinem Garten blühen die ersten geretteten Pflanzen: die tränenden Herzen vom Supermarkt, die Pfingstrose vom Nachbargrundstück, wo jetzt schon der Rohbau steht. Die kaukasischen Vergissmeinnicht haben sie dir heuer direkt nachgeschmissen. Wegen Russland wahrscheinlich, und die Maiglöckchen und die beiden lila Irisstauden hat er schon letztes Jahr beim Manufactum im ersten Bezirk geschenkt bekommen, weil’s schon so spät im Jahr war und sie sonst eh nur im Mistkübel gelandet wären. „Ich kenne nämlich nur ein Jahr und das ist Gartenjahr“, sagt er, als ob damit jetzt alles geklärt wäre. „Alles fürs kleine Maiglückchen“, sage ich spitz, weil ich schlechte Laune habe und Streit suche. Er nickt aber nur, offensichtlich ist er mit seinen Gedanken ganz wo anders. In seinem Garten wahrscheinlich, meiner Vermutung nach bei seinen tränenden Herzen. Die nehmen ihn ganz schön her, das habe ich schon öfter bemerkt. ‚Er will halt einmal auch so makellos sterben‘, denke ich. Aber das wird ihm nicht

Ein Mai wie im Sommer! (aktuelle Fotos)

 

Annemie war in Prag

Annemie war in Prag, hat sie getanzt auf einem steinernen Treppenabsatz in einer von riesigen Scheinwerfern erhellten Burgruine (Was für ein Fest!) und Feuer hat sie sich von einem Kerl geholt, den sie nicht einmal gekannt hat. „Nettes Feuerzeug“, hat sie gesagt. Hat sie ihm einen tiefen Blick zugeworfen und sich am Absatz umgedreht. Ist sie zurückgekommen. Am Fenster sind wir gestanden und haben olympische Ringe in die Nacht geraucht. Ich greife mir ihre Jacke: tatsächlich, sie riecht nach Zigaretten. „Sag, wo bist du gewesen?“ „Hab ich dir doch erzählt.“ Ich frage nicht weiter. Ich kenne Annemie, sie wird nichts mehr sagen. Wenn sie privat ist, dann ist sie privat. Da kannst du einen Kopfstand machen, wenn du meinst, dass dir das was nützt. Ich sag‘ es dir gleich: Kein Wort wird über ihre Lippen kommen, die lässt dich dumm sterben. (Einmal habe ich Annemie gefragt, was sie machen würde, wenn sie in zwei Wochen sterben müsste. „Leben“, hat sie gesagt. – Genau das ist Annemie.)

BussiBussi

Wir begrüßen einander mit Wangenküssen, die wir BussiBussi nennen, aber wir lächeln nicht. Wir lächeln nur, wenn wir etwas zu verbergen haben. Die gute Laune oder die schlechte Tat, das kannst du dir aussuchen. Wir mögen beides nicht. „Ob sie mir das Messer vorn ins Herz oder hinten in den Rücken stechen, is mir mehr als wurscht“, sagt der Wiener. „Dastochn is dastochn“, sagt er und bringt damit die ganze Chose auf den Punkt. „Stimmt’s oder hab ich Recht!“ Er hebt sein Glas in meine Richtung, ich nicke ihm zu, ohne eine Miene zu verziehen. ‚Ein einsamer Trinker‘, denke ich und dass die letzte Wahrheit immer die beste ist. Ganz anders als das letzte Glas, weil das ist wie immer schlecht gewesen und deshalb wache ich mit einem Schädel auf so groß wie das Ferry Dusika Stadion. Lächelnde Radfahrer ziehen Kreise in meinem Kopf. Lauter Weltmeister, vergangene und zukünftige. Nur mit der Gegenwart haben wir es nicht so in Wien.   

Wenn die Lichter ausgehen

Wenn die Lichter ausgehen, ist der Spaß vorbei. Blackout: Von Zimmer zu Zimmer gehen. Mit den Flügeltüren schlagen, aber nicht abheben. So hoch ist‘s nicht einmal im Wiener Altbau, als dass das geht. Das ganze Haus zittert mit, wenn draußen ein schwerer Transporter vorbeifährt. Sprünge in den Ecken, das Haus bewegt sich. Immer noch gibt der Untergrund nach. Damals nach dem Krieg haben sie die Bombentrichter nicht gut genug zugeschüttet. War ja nichts da. Kein Geld. Kein Material. Keine Männer. „Und nicht genug verdichtet“, sagt Hermann. „Die ganze Straße war voller Bombentrichter, in die kippen wir jetzt langsam zurück. Jedes Jahr ein paar Millimeter.“ Ich gehe von Zimmer zu Zimmer und schlage die Flügeltüren hinter mir so fest in Schloss, wie ich es schaffe. Bis die Nachbarinnen von unten kommen und fragen, ob eh alles in Ordnung ist. Sonst sind es nämlich die beiden, die so einen Krach machen mit ihren Partys, dass die Bässe noch bei mir heroben in den Wänden vibrieren. „Alles okay“,

Der Tag beginnt

Der Tag beginnt grau wie jeder Tag, bald aber wird er aufgehen wie ein Germteig. „Nimm mich!“, wird er sagen, wenn ich ihm die Vorhänge wegziehe, und ich werde mich verschämt auf die Seite drehen. „Sei doch nicht immer so direkt!“, werde ich sagen und mit einem halben Auge hinauslinsen, weil wie er ausschaut, will ich schon wissen. Groß ist er. Größer als es die Welt je sein wird, und so hell. Kein Wunder, es ist Mai und da tun die Tage gern so frisch und jung, als ob sie sich wie zum Anbeißen vor mein Fenster gestellt hätten, dabei wollen sie immer nur das eine: aufgehen und am Himmel stehen. Im Büro geht es wieder einmal drunter und drüber. Keiner hat was, keiner kann was, vor allem kann keiner was dafür. Und wollen tut sowieso keiner. Nicht so. E-Mails ohne Ende, ich werde mit Spam geflutet, dazwischen Mitteilungen, Newsletter (Habe ich die wirklich alle abonniert?), Anfragen, Bewerbungen, Ankündigungen, Einladungen zu irgendwelchen Frühlingsevents mit wichtigen Leuten. Die Homepa

Ecke Serviten- und Berggasse

Auch an der Ecke Serviten- und Berggasse sind die Lokale großflächig auf die Gasse hinausgewandert. In der Nacht hat es noch gedonnert, aber schon am Vormittag ist wieder jeder Platz besetzt, der Kellner, der wie ein Testimonial für das coolste Gewand der Stadt daherkommt, bewegt sich elegant zwischen den engen gestellten Tischen. Noch vor zwei Wochen sind auf den Sesseln warme Decken gelegen, jetzt ist die große Markise ausgerollt. Trotzdem blendet die Sonne auf die Tische, taucht Gesichter, Kaffeegeschirr, Croissants, Präsentationsmappen, Handys und Laptops, Lederrucksäcke und Handtaschen in sommerliche Hitze. Die Leute scheinen alle gleich alt zu sein, zwischen 25 und 40, ab und zu sitzen – meist allein an einem Tisch – auch Ältere, wobei das solche sind, denen man das Alter nicht ansieht, auch nicht wenn sie einem nach zehn Jahren plötzlich über den Weg laufen würden. Ecke Serviten- und Berggasse – ich glaube, dass das der geheime Treffpunkt derer ist, die bei uns alles am Laufen h

Rathausmann und Gendern

Annemie findet, dass das Alter mehr Klarheit bringt, und ich finde, dass wir das doch noch gar nicht wissen können. Außerdem: „Klarheit, wer braucht denn sowas?“ Annemie darauf: „Ja, eh.“ Da liebe ich sie gleich wieder sehr und finde, dass sie immer noch ausschaut wie vor vielen, vielen Jahren. Keine einzige Falte. Wir sitzen in einem Cafe am Ring und schauen hinüber aufs Rathaus. Da steht der Rathausmann in Rüstung, mit Lanze und in spitz zulaufenden Rüstungsschuhen trotzig die Votivkirche überragend. „Ich bin gespannt, wann er gegendert wird“, sage ich zu Annemie, die das nicht so witzig findet wie ich. Annemie nimmt das mit dem Gendern nämlich ziemlich ernst. „Die gespitzten Schuhteile müsste man ihm als Erstes ausziehen, die schauen ja zu lächerlich aus“, sage ich, um für gute Stimmung zu sorgen, ich will heute keine Diskussionen. Der Kellner geht zum dritten Mal an unserem Tisch vorbei, wir sind noch nicht dran, heißt das, und weil wir Wienerinnen sind, wissen wir das auch. Nur di

Die nächtlichen Zauberbäume

Die nächtlichen Zauberbäume sind so dicht belaubt, dass sie sich am rabenschwarzen Himmel fast nicht mehr abzeichnen, wie auf eine unsichtbare Schnur gefädelt stehen aber merkwürdig hell leuchtend gelbe Nachtkerzen am Wegrand. Wir warten wie gehabt auf das, das kommen wird, und weil Nacht ist und das Ganze deshalb nur ein Traum, warten wir auch auf das, das schon lang vergangen ist. Der große Zauberer lehnt einstweilen dekorativ an einem Baumstamm und spuckt - Wie unpassend! - freche Worte in die Gegend. So richtig ungeniert. Ina, seine Schwester, schüttelt nur noch den Kopf über ihn. „Wo der das immer hernimmt“, sagt sie zu mir, als ob wir zwei große Schwestern wären und der große Zauberer der kleine Bruder. Ich komme mir wie Alice im Wunderland vor und finde das alles sehr, sehr spooky. Ein Glück weiß ich, dass ich nur träume, schließlich ist Nacht und ich bin ein ordentlicher Mensch, der wie alle ordentlichen Menschen in der Nacht schläft und wie es sich gehört, auch nur während des

Gestern Abend: Ankommen am Moosauer-Hof

 

Herausgeschlagen hätten sie nichts aus ihr

Herausgeschlagen hätten sie nichts aus ihr, kein einziges Wort (An ihren Schlägen werdet ihr sie erkennen!), berichtet mir Filo, noch ganz atemlos von der Flucht. Sie hätten es nun aber schlauer angestellt, nämlich ganzheitlich und nachhaltig, eben auf die moderne Art. Mit Liebesgeflüster sei sie diesmal weichgeklopft worden wie ein Schnitzel am Sonntag, und geschmolzen wäre sie dann wie das Butterschmalz in der heißen Pfanne, in der sie das Schnitzel dann geschwenkt hätten, bis die Panier vor lauter Hitze hohe Blasen geworfen hat. Wienerisch halt. Aus Konsequenz und aus noch mehr Liebe sei sie dann auch noch fast gefressen worden von diesen liebeshungrigen Idioten, die ihr ohnehin seit Jahr und Tag nachstellen würden. Zwischen den Zähnen sei sie ihnen gerade noch einmal so durchgerutscht – „aber kein Wort, ich sage dir, kein Wort ist über meine Lippen gekommen.“ Das versichert sie mir mehr als tausend Mal, ich glaube ihr aber nicht. Sie steht doch frisch wie der junge Frühling vor mir

Der Neue (aus meinem aktuellen Projekt)

Der Neue liest sich wie ein Liebhaber. Wie ein Liebhaber, der warten kann. „Zu schade“, sage ich zu meiner Freundin Annemie, „dass er einer ist, der warten kann.“ Ich kenne solche nämlich schon, die warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag und zur Sicherheit noch ein paar Tage Zuschlag draufgegeben, und bis dahin warte ich ganz sicher nicht. „Ob er es genau darauf anlegt?“, meint Annemie und ich liebe sie dafür. Weil sie versteht, in welche Richtung sich die Welt dreht, zugegeben: meine Welt. „Ein Liebhaber mit Sicherheitsabstand“, sage ich, „wie lächerlich!“ und finde, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Annemie findet das auch und da heben wir auch schon unsere Gläser auf die Liebe. Am Nachbartisch sitzt eine ziemlich alte Frau, ziemlich verwittert, aber mit knallrot gefärbten Haaren (echt!). Sie hat sich das Tagesmenü bestellt und wartet auf die Suppe. „Frittatensuppe gibt es heute!“, ruft sie zu Annemie und mir herüber. Ich schaue angestrengt in mein Glas (als ob der Neue d

Im Schatten der Hausmauer

Im Schatten der Hausmauer kommt mir ein Hund entgegen, der zugehörige Mann geht ein paar Schritte entfernt in der Sonne. Keine Leine, kein Beißkorb. Eh klar: wir lieben Hunde. Ich nicht. Ich gehe schon ein paar Meter vor dem Zusammentreffen mit den beiden zur Seite, trete heraus aus dem mittäglich-schmalen Häuserschatten in die bereits sommerlich anmutende Hitze. Links der Mann, rechts der Hund, keiner von beiden würdigt mich eines Blickes, beide sind beladen mit tausend Jahren und gebückt von ebenso vielen Sorgen. Sie können sich nicht um jeden kümmern, der ihnen da ungefragt zwischen die Beine kommt. Ja, doch. ‚Ja, das verstehe ich‘, denke ich und fühle mich seit langem wieder einmal so richtig zuhause, und da räuspert sich auch schon jemand hinter mir und das mehrfach und echt laut. Ich zucke unwillkürlich zusammen und drehe mich wie schuldbewusst um, aber die Frau hat mich gar nicht gemeint. Sie hat sich einfach nur geräuspert, wohl weil ihre Stimmbänder belegt waren. Sie lacht und

Dass sich die Welt zurückdreht

Dass sich die Welt zurückdreht, dass wieder hart durchgegriffen wird und jede Widerrede Hochverrat ist. Dass die Münder nicht reden und lachen und streiten und gähnen und essen und trinken, sondern dass sie aufgerissen und gestopft werden, je nach Lage der Dinge. Wie ein Flick-Flack rückwärts, so läuft das schon seit Jahren, und noch einer und noch einer, denke ich, ein Tempo wie bei der Weltmeisterschaft. Alles retour, denke ich, das Leben läuft zurück, denke ich, irgendwann muss da der Scheitelpunkt, die Wasserscheide gewesen sein und keiner von uns hat aufgepasst. Und weil das Leben gern auf alte Weisheiten zurückgreift, hat es wohl drauf gehört, als irgendein alter Kerl, der grad zufällig (?) des Wegs gekommen ist, gesagt hat, dass man aufhören soll, wenn‘s am schönsten ist.

Ruinenbauen

Da bauen sich Menschen Ruinen in den Garten. Sollte man in Zeiten von ‚Geschichten statt Geschichte‘ den Wunsch verstehen, sich seine eigene Geschichte in den Garten hinein zu basteln? Sollte man es verstehen, dass Leute sich Ruinen bauen mit einem tadellos verlegten Ziegelboden, damit der Griller einen festen Stand hat, weil Grillen nun mal das zweitliebste Hobby nach dem Reisen ist? Oder wenn sie sich leere Fensterrahmen in den Garten hängen. Warum? Weil es so schön ist? Weil das Haus drumherum halt schon vergangen ist? Weil man so gern Fenster hätte, die gleichzeitig auseinanderschneiden („Struktur hineinbringen“) und zusammenhalten („Sichtachsen bilden“) und das ohne jede Not? Ist die Not das Stichwort? Und welche genau wäre das dann bitte?

Freitagsbilder gemalt

Freitagsbilder gemalt, ein paar Gedanken zerpflückt, weil ja das Wochenende kommt. Gekocht, gewaschen, Ich-Und-Du gespielt. Diverses Gewand aus dem Kasten geholt und lustlos am großen Bett verteilt. Nach Jahreszeiten auf Stöße sortiert, die Stöße in den Kasten balanciert. Das wird reichen. Die Meterscheiter halbiert, damit sie in den Ofen passen, bald gibt es kein Gas mehr aus Russland. Bald gibt es kein Sonnenblumenöl mehr aus der Ukraine und die Butter ist auch schon teurer geworden, schreibt jemand auf Facebook. Strom wird unerschwinglich, Benzin, Diesel. Uns geht die Energie aus, wenn irgendwo einer den Stecker zieht. Mein Silber in ein Bad aus Wasser, Salz und Alufolie gelegt: wegen den Lieferketten wäre es. Wenn die reißen, dann reißt uns das mit. Was sind das für Aussichten, „Schlechte“, sagst du und meinst das ernst. Und ich sage: „Da muss ich erst einmal drüber schlafen.“ Ich schließe meine Augen, ich will eine schnelle Antwort.  

Auf los geht's los!