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Es werden Posts vom Juni, 2022 angezeigt.

Annemie und Gabriella, die Wahrheit und der Krieg

Wenn Annemie „Kindchen“ zu mir sagt, dann fehlt es richtig weit, dann bin ich so richtig aus der Spur gefallen. „Kindchen, der macht sein Ding. Das hat er immer schon gemacht“, sagt sie und schaut mitleidig. Nur weil sie so schaut, verzeihe ich ihr das ‚Kindchen‘. Sie schaut nämlich nur ganz selten so. Weil ihr das zu privat ist, glaube ich. Auch Blicke können zu privat sein, da hat sie schon Recht. Und was Georg angeht, hat sie natürlich auch Recht. Georg hat immer schon sein Ding gemacht und das Ding ist sein Leben. Betonung auf sein. Ich habe das nur nicht gemerkt. „Weil ich dazu gehört habe“, sage ich, aber Annemie (die lässt mir heute nichts durchgehen): „Weil du dazugehören wolltest.“ Betonung auf „wolltest“. Ich sage nichts drauf, weil das jetzt schon ganz schön hart ist („Wahrheit tut weh“, würde Hermann sagen. ‚Genauso weh wie seine Schläge?‘, denke ich), aber auch weil ich merke, dass der Sessel, auf dem ich sitze, noch nass gewesen sein muss. Es hat auch heute Nacht wieder h

Ina zieht wieder aus

(...) Als ich gestern nachhause gekommen bin, war die Wohnung leer: Ina war nicht mehr da, Nur ein Schmierzettel ist am Tisch gelegen: „Bin wieder in die Wohnung vom Habeler gezogen. Melde mich, bis bald, deine Ina“. Nein, erleichtert war ich nicht. Warum auch? Besser ist es, wenn jemand da ist, wenn ich die Tür aufsperre, und ich hatte mir am Heimweg auch schon alles zurechtgelegt, das mir im Lauf des Tages durch den Kopf gegangen war. Mit Vorfreude, weil es ja viel schöner ist, wenn man‘s auch jemandem erzählen kann. Einfach so beim Abendessen. Auch wenn Ina nicht wirklich zugehört hätte, wenn sie wie üblich in ihren eigenen Gedanken festgesessen wäre, mich immer wieder mit ihrem eigenen Kram unterbrochen oder Fragen gestellt hätte, wo es ganz offensichtlich gewesen wäre, dass sie keine Sekunde lang zugehört hatte. Aber sie wäre da gewesen. Leibhaftig da gewesen (aber nicht leibhaftig wieder der Teufel oder der alte Pfarrer – in der Hölle soll er schmoren – oder Fleisch geworden wie

Zusammenhänge, Corona, Russland und Rosen

(...) Gut, dass ich die Tage nicht im Büro gewesen bin, die Zappletal hat nämlich Corona. Hat sich wahrscheinlich bei der Praktikantin angesteckt. Oder umgekehrt. Oder die beiden haben sich auf eigenen Wegen angesteckt. Weil ja nicht immer alle und alles zusammenhängt. Wie Corona und Russland, die beiden hängen ja auch nur für die ganz Verrückten zusammen. Manche brauchen einfach überall einen Zusammenhang, weil sie sonst in ihre Einzelteile auseinanderfallen und dann müssten sie nach ihrem eigenen Zusammenhang suchen. Und wer will das schon. Dann lieber alles andere und alle anderen zusammenkleistern zu den wildesten Geschichten. Je wilder, umso glaubwürdiger. Sonst wäre das Ganze ja nicht so geheim. Die echten Zusammenhänge sind eben immer die heimlichen, die von hausaus verborgenen. Wie ein Schatz liegen sie metertief unter den Entscheidungen der anderen. Ja, das ist auch ein Konzept. Ein leidenschaftliches Konzept ist das, eines, das Sinn ergibt. Spursinn. Spürsinn. Lebenssinn: Man

Hermann trifft sich wieder mit Lisa

(...) Er trifft sich wieder mit Lisa, und ja, damit hat mein Hermann mich dann schon wirklich überrascht. Und auch nicht gerade am richtigen Fuß erwischt. Weil einen Mann nicht haben wollen und ihn bei einer anderen wissen zu müssen, das sind zwei Paar Schuhe. Also ich hab‘ fürs Erste schon kurz schlucken müssen. Er sei ihr zufällig in der Postgasse begegnet: Er ist grad aus der Fleischhauerei gekommen und da hat sie sich genau gegenüber im Schanigarten vom Engländer nach einem freien Platz umgeschaut. Da hat er sein Leberkässemmerl natürlich nicht ausgepackt, sondern ins Sackerl zu den anderen Sachen gesteckt. „Dass ich freie Hände habe und einen leeren Mund!“, hat er gelacht. „Weil man mit vollem Mund nicht spricht.“ Verdammt siegessicher hat er gelacht, als er mir das erzählt hat. ‚Na geh, was du nicht sagst‘, habe ich gedacht und weil er das mit den Händen gesagt hat, ist mir wieder eingefallen, was Ina einmal erzählt hat. Ob diese Lisa das auch vergessen hat über die vielen Jahre?

Über Lifttüren

(...)  Ich  nehme das Auto, auch wenn die Benzinpreise mittlerweile echt astronomisch sind (Ich habe schon Angst vor der nächsten Gas-Strom-Abrechnung!), aber die Öffis am Sonntag sind ein Kapitel für sich und allein die Fahrt mit dem 60er von der Kennedybrücke bis hinaus nach Rodaun dauert eine halbe Ewigkeit. Außerdem habe ich nach gestern sowieso wieder für lange Zeit genug von Straßen- und U-Bahn. Schon allein die Warterei hat mich wieder Nerven gekostet und dann erst das extrem langsame Öffnen der Türen, nur ja keine Hektik aufkommen lassen, wir haben alle ganz viel Zeit in Wien, auch wenn du unter der Maske eh schon schwitzt wie sonstwas. Endlich sind alle drin (eine Frau ist gerade noch rechtzeitig herangesprintet, die schon fast geschlossene Tür geht wieder auf, aber dann endlich: zu), dann drücken irgendwelche Kinder auf die Knöpfe und der Lift bleibt bei jeder Ausstiegsmöglichkeit stehen. Die Türen öffnen sich, niemand steigt aus, niemand steigt ein, sie schließen sich, wiede

Filo

Ich rufe wie im Fernsehen: „Überraschung!“ und Filo ist auch wirklich überrascht. Ich kann ganz deutlich sehen, wie es in ihrem Gesicht arbeitet. Sie weiß ziemlich lang nicht, ob wir eine gute oder eine schlechte Überraschung sind, da drängt sich Ina vor: „Wir haben uns beim Fünfziger von Gabi kennengelernt. Weißt eh noch?“ Ja, Filo weiß es eh noch, „Und das ist Annemie.“ Auch das weiß Filo noch, da kommt noch jemand an die Tür. „Das ist Rieke.“ Nun bin ich überrascht, weil ich mir viel vorgestellt habe, wenn ich an die neue Liebe von Filo gedacht habe, aber eine wie Rieke war nicht dabei. Rieke ist eine durch und durch spießige Norddeutsche. Zumindest schaut sie so aus. Dunkelblondes, schulterlanges Haar, das – es ist ein bisschen strohig –  fast nach Dauerwelle ausschaut, blasse Gesichtsfarbe mit ein paar zu groß geratenen Sommersprossen. Undefinierbare Augenfarbe, aber zurechtgezupfte Augenbrauen und Lidschatten. Ein kleiner Mund, dünne Lippen, aber mit Lippenstift. Lackierte Finger

Annemie ist genervt

„Und was sagt der Herbert?“ „Nichts sagt der Herbert, was soll er denn sagen?“ Annemie ist genervt, weil ich das jetzt schon zum dritten Mal gefragt habe, aber eigentlich geht es ihr darum, dass ihre Pragpläne nicht so klappen, wie sie sich das vorgestellt hat. Wochenlanges Homeoffice, so wird das nicht gehen, sie wird mindestens ein Mal pro Woche nach Wien kommen müssen, und das wird sie nicht machen, sie hat nicht vor, die Pendlerin des Jahres zu werden: „Liebe hin, Liebe her.“ An diesem Liebe-Hin-Liebe-Her-Punkt waren wir nun schon mehrfach, wir drehen uns im Kreis. Trotzdem freue ich mich extrem, dass Annemie gekommen ist. Eigentlich habe ich sie angerufen, weil ich ihr unbedingt von der wirklich letzten Nacht mit Georg erzählen wollte, Nein: musste. Georggeschichten ohne Annemie, das geht nicht. Und so habe ich einfach so getan, als ob nichts gewesen wäre, als ob es mir gar nicht aufgefallen wäre, dass sie sich einfach davon machen wollte aus meinem Leben. Wegen einem wie dem Oswa

Was über Wien und ein Traum

(...)  In Wien kannst du vollkommen verschwinden und trotzdem quicklebendig bleiben. Du kannst auch in aller Herrgottsfrüh aus einem Hotel spaziert kommen, ziemlich zerknautscht und die letzte Nacht steht dir noch ins Gesicht geschrieben und es interessiert keinen. Du als Ganzer interessierst keinen und es ist auch vollkommen egal, was du gemacht hast und mit wem oder was du bleiben lassen wirst oder wen. Alles im grünen Bereich – außer wenn du, egal ob mit oder ohne Absicht, an einem anderen Wiener anstreifst. Leb du dein Leben und ich lebe mein Leben, aber nicht komm‘ mir von der Seite oder von sonstwo, weil dann ist es ganz schnell vorbei. ‚Toleranz ist, wenn man trotzdem lacht‘, denke ich, für alles andere bin ich zu müde. Als ich in meine Gasse einbiege, steht ein Müllwagen von der MA48 vor der Haustür und eine junge Frau, Marke blondes Langhaar-Fitnessmodel, springt gerade instagrammäßig in die Führerkabine. Nirgends Kameras oder Handys, die ist wie ihre orangene MA48-Montur echt

Bissl Foto-Schauen ... :) Juni am Moosauer-Hof

 

Schön is' g'wes'n

‚Schön is‘ g’wes‘n, nix is‘ g’scheh’n‘ - das ist vorbei‘, habe ich gestern meinem ehemaligen Lehrer geschrieben, und dass heutzutage andauernd was geschieht. Die andere Hälfte habe ich aber bei mir behalten. Vielleicht weil Halbzeit ist. Vielleicht weil ich erst einmal drüber schlafen musste. Worüber? Über die Gegenwart, die Zukunft, die Vergangenheit? Weil in Wirklichkeit nichts geschieht und schön ist es trotzdem nicht? Ina hat heute früh Kaffee gemacht. Auch gestern war sie so, wie man sich eine Freundin vorstellt. Nein, besser. Weil man mit Ina nicht reden muss. Entweder sie versteht einen oder sie versteht einen nicht. Eine Sache der Tagesverfassung? Wenn ja, dann hat sie gestern einen guten Tag gehabt, gut für mich. Sie musste mich gehört haben oder sie hatte das Bild meines Vaters lang genug angestarrt, auf jeden Fall hat sie sich plötzlich umgedreht. Hat mich gesehen und ist auf mich zugelaufen. Sie hat mich einfach in die Arme genommen und dann haben wir geweint. Echt. So etwa

Desertieren usw.

Auf russischer wie auf ukrainischer Seite gibt es immer mehr Deserteure. Die Kampfmoral sinkt. Ich denke an die jungen Männer auf der Flucht vor dem Krieg. Kriegsflüchtlinge. Ich denke, dass am besten alle desertieren sollten. Stell dir vor es ist Krieg und alle desertieren. Stell dir vor, die Lebensmoral steigt. Stell dir vor, wir entwerfen Fluchtrouten für die Deserteure. Stell dir vor, wir holen diese ganzen jungen Männer aus dem Krieg. Als ich zuhause angekommen bin, war es ganz ruhig. Zuerst dachte ich, dass Ina noch immer schläft (sie arbeitet ja manchmal bis weit in die Nacht hinein), aber dann habe ich sie vor dem Bild meines Vaters gesehen. Wie vor vielen, vielen Jahren er stand auch sie ohne eine Bewegung davor. Viel kleiner als er und statt des weißen Arztkittels trug sie ein weißes Hängekleidchen, offensichtlich ihr Nachthemd, aber die Art, wie sie dastand, erinnerte mich sehr an ihn. Das Nitschbild habe ich nach dem Tod meines Vaters aus dem Haus gerettet. Meine Mutter w

Ein Sonntag

Sie hat wie immer peinlich genau aufgeräumt, bevor sie weggefahren ist. Eine Kur wegen ihrem Rücken, Bandscheiben oder sowas. Die meisten Jalousien sind heruntergelassen, wahrscheinlich wegen der Hitze, trotzdem kann ich sehen, dass sie die Polster auf der Couch aufgeschüttelt, zurechtgezupft und in der von ihr bevorzugten Reihenfolge (dem Farbverlauf nach) aufgestellt hat. Dass die Sessel exakt am Tisch stehen, dass die Keramikschüssel, die ihr mein Vater einmal von einem Kongress in Südafrika mitgebracht hat, genau in der Mitte steht. Kein Obst drin, es würde ja schlecht werden über die drei Wochen. Auch in der Küche steht nichts herum, das in dieser Zeit schlecht werden könnte, vielleicht hätte ich mir doch etwas mitnehmen sollen. Der Herd glänzt, obwohl es wegen der auch hier herabgelassenen Jalousien fast dunkel ist. Sogar die Kacheln glänzen. Es riecht nach Putzmitteln. Wie im restlichen Haus ist auch im Schlafzimmer alles genau an seinem Platz, das große Zierkissen liegt genau i

Eine Damenrunde

  Ich habe gestern mit Filo gestritten und das hängt mir heute noch nach. Ich habe sogar von ihr geträumt, irgendetwas Unangenehmes, mehr weiß ich nicht. Kopfweh habe ich auch. „Seinen Weg soll man gehen“ – wenn ich so etwas schon höre. Hätte ich echt nicht gedacht von Filo, dass sie redet wie ein Lebenshilfebuch vom Wühltisch. Als ob man einen anderen als den eigenen Weg gehen könnte. Eigene Beine, eigener Weg, so einfach ist das. Oder hat sie fremde Beine, neuerdings? Filo ist anders geworden, seit sie die Richtung gewechselt hat. Nein, nicht hilfreich. Nicht was mein Diversity-Projekt angeht und sonst auch nicht. Zu viel Empowerment, denke ich. Die hat zu viel Empowerment abbekommen. Nicht mehr genießbar für unsereins. Ja, so ein Weg kann schon ausschauen wie ein fremder, aber eben nur ausschauen. Mach irgendwo einen Schritt und schon hast du deinen Weg. „Und wenn du am Fleck stehen bleibst, hast du einen Standpunkt. Auch schön, kann aber fad werden“, hat Filo gesagt, und hat blöd i

Ein Fenstertag in Wien

Ich bin an Fenstertagen besonders gern in der Stadt. Sie ist dann so anders. So still und wenn ich so früh wie heute unterwegs bin, ist sie sogar ein bisschen verträumt. Oder verwunschen wie der Mogatschwald, wo mein Vater jagen gewesen ist. Wo Georg hingezogen ist, als ich in Griechenland war, vergiss Georg. Jede Menge Parkplätze sind frei, nur der neu aufgestellte Fahrradständer ist voll. Halb Wien ist am Land, viele sind überhaupt gleich für ein paar Tage ans Meer geflogen. Ich nehme den direkten Weg, den durch den Beserlpark, um diese Zeit ist die Bettlerin eh noch nicht da. Gibt es heuer wirklich mehr Vogelgezwitscher als in den Jahren zuvor? Ob auch die Vögel aus der Ukraine geflüchtet sind? Ich überlege, wie das gewesen ist, als gestern die drei Regierungsoberhäupter von Deutschland, Frankreich und Italien in Kiew angekommen sind. (Ich zähle die Häupter meiner Lieben und siehe da, es waren drei!) Und dann gab’s Luftalarm. Die Vögel flüchten und die Politiker fahren hin. Ich denk

Der Neue heißt nicht Gottfried, sondern Michael

Er hat ein Gesicht mit ganz viel Platz und die freundlichsten Augen, die mir bisher untergekommen sind. Die Haare – grau, aber früher dunkel oder brünett, das sieht man noch – lichten sich schon, überhaupt schaut er älter aus, als ich ihn mir vorgestellt habe. Er heißt in Wirklichkeit ja auch nicht Gottfried: „Michael“, sagt er. „Ella“, sage ich. Er ist ein großer Mann, sicher einen Kopf größer als ich, breitschultrig, wobei er die Schultern fallen lässt. Keine Anspannung. Nicht nachlässig, sondern aus Gewohnheit. Weil es halt so ist. Leicht gebückt steht er da. Vielleicht hat er es mit dem Rücken oder er will den Bauchansatz verstecken. Eigentlich habe ich seit Corona das Bussi-Bussi abgeschafft, aber ich beuge mich zu ihm hin (er ist mehr als einen Kopf größer als ich, ich muss mich strecken). Bussi links, Bussi rechts. Er riecht gut. Nach satten Herbstfarben, und seine Haut liegt für diese kurzen Momente wie angegossen an meiner. Nur ein leichtes Kratzen, wie zur Erinnerung, dass da

Ina zieht bei der Ich-Erzählerin (Gabi) ein

Ich war noch nicht lang zuhause, da ist Ina plötzlich vor meiner Tür gestanden. „Überraschung!“, hat sie gerufen und ihre Arme in die Höhe geworfen, als ob sie aus einer Torte gesprungen wäre. Ich habe trotzdem die große Reisetasche neben ihr am Boden stehen gesehen. Und dahinter die Holzbox, in der sie ihr ganzes Schmuckzubehör transportiert. Zurück zu ihren Eltern aufs Land gehe sie sicher nicht, sie würde in Wien bleiben. Auf jeden Fall und trotzdem. Trotzdem? „Komm erst einmal herein.“ Sie lässt die Reisetasche und die Holzbox im Vorzimmer stehen und geht gleich weiter ins Wohnzimmer. „Immer wieder schön bei dir!“, sagt sie mehr zu sich als zu mir, und da weiß ich, dass sie bei mir einziehen will. Schon wie sie mit ihren Blicken über die Möbel streift. Als ob sie in Gedanken schon umzustellen beginnt. Sie lässt sich auf die Couch fallen. „Echt gemütlich!“ Ich stehe immer noch in der Tür, „Was ist los?“, frage ich endlich. „Der Habeler hat mich rausgeschmissen.“ „Der Habeler?“ „Ja,

Annemie und Oswald

Am Weg ins Büro muss ich an einer Bettlerin vorbei. Sie sitzt im Beserlpark auf einer Bank, als ob sie auf meinen Wegzoll wartet. Ich hab‘ ihr vor ein paar Jahren ein paar Mal statt einem Euro fünf Euro gegeben, und einmal, als es extrem heiß war, habe ich sogar bei mir duschen lassen. Seither erwartet sie fix mindestens fünf Euro, wenn ich an ihr vorbei will. Eigentlich erwartet sie mehr, denn selbst wenn ich ihr die fünf Euro gebe, jammert sie in ihrem Singsang weiter von Tabletten, die sie braucht, sie deutet auf ihr Herz, zeigt mir die leeren Taschen ihrer Jacke und sagt immer wieder „Alles Gute, alles Gute“. Als Corona gekommen ist, ist sie verschwunden, aber jetzt ist sie wieder da und deshalb gehe ich jetzt nicht mehr durch den Beserlpark. Normalerweise. Aber heute war ich wegen Annemie und dem Oswald so in Gedanken, dass ich drauf vergessen habe. Die Bettlerin hat mich sofort gesehen. Gleich als ich ums Eck gekommen bin, ist sie von ihrer Bank aufgestanden und ist die paar Schr

Heimkommen

Die Wohnung ist heiß, als ich heimkomme. Stickig. Ich öffne sofort die Fenster, viel besser ist die Luft von draußen auch nicht. Ob man den Krieg riechen kann? Ich meine so wirklich, so wie ich den Regen riechen kann, Stunden bevor er eintrifft. Oder den Schnee. Liegt Krieg in der Luft, also in unserer? Die Nachbarin von oberhalb ist gestorben. Als ich weggefahren bin, habe ich ihre Tochter getroffen. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann Unmengen von großen Blumentöpfen aus der Wohnung geholt und mir erzählt, dass die Mutter vor einer Woche gestorben ist. Demenz. „Jetzt hat sie es hinter sich.“ Die Tochter hat dieselbe freundliche Art wie ihre Mutter. Wie ihre Mutter gehabt hat. Schon seit einigen Monaten habe ich sie nur noch selten getroffen und ich hatte auch da schon das Gefühl, dass mit ihr was nicht in Ordnung ist. Und beim letzten Mal, als ich sie gesehen habe, gab es eine Begleiterin, die sich aber sofort still an die Seite gestellt hat. Ich hab‘ mir gleich gedacht, dass das eine 2

Annemie (Ausschnitt - Die Geschichte schreitet voran ... ;) )

„Ich muss jetzt aber“, habe ich zu meiner Mutter gesagt und mich gleich nach dem Kaffee ins Auto gesetzt. Ich freue mich auf Annemie. Auf die Ruhe. „Hirnauslüften“ nennt sie das, wenn wir, nachdem die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht sind, im Garten sitzen und die Gesichter in die Sonne halten. Das hab‘ ich eh grad dringend nötig. Annemie hat mich ja schon damals in der WU praktisch gerettet, hat mich aus dem ganzen Haufen von WUlern herausgefischt und mich gefragt, ob wir nicht gemeinsam für die Prüfung lernen wollen. Wir hatten uns vorher schon öfter gesehen, sind auch ein paar Mal nebeneinander gesessen, am Semesterende hat sie mich dann angesprochen. Weil ich wie sie immer mitgeschrieben hatte, auch wenn meine Mitschriften weder so vollständig, noch so ordentlich wie ihre waren. „Aber du hast immerhin welche gehabt“, hat sie mir später mal erzählt. Und sympathisch war ich ihr auch. („Warum. Warum. Was du immer fragst!“) Ich steige aufs Gas. Die Straßen sind an einem Sonntag um

Ein paar Schönheiten aus meinem Junigarten

Als kleine Unterbrechung der Ausschnitte aus meinem aktuellen Manuskript. :)