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Ecke Serviten- und Berggasse

Auch an der Ecke Serviten- und Berggasse sind die Lokale großflächig auf die Gasse hinausgewandert. In der Nacht hat es noch gedonnert, aber schon am Vormittag ist wieder jeder Platz besetzt, der Kellner, der wie ein Testimonial für das coolste Gewand der Stadt daherkommt, bewegt sich elegant zwischen den engen gestellten Tischen. Noch vor zwei Wochen sind auf den Sesseln warme Decken gelegen, jetzt ist die große Markise ausgerollt. Trotzdem blendet die Sonne auf die Tische, taucht Gesichter, Kaffeegeschirr, Croissants, Präsentationsmappen, Handys und Laptops, Lederrucksäcke und Handtaschen in sommerliche Hitze. Die Leute scheinen alle gleich alt zu sein, zwischen 25 und 40, ab und zu sitzen – meist allein an einem Tisch – auch Ältere, wobei das solche sind, denen man das Alter nicht ansieht, auch nicht wenn sie einem nach zehn Jahren plötzlich über den Weg laufen würden. Ecke Serviten- und Berggasse – ich glaube, dass das der geheime Treffpunkt derer ist, die bei uns alles am Laufen halten: junge, offene, gut situierte Weltbürger und Weltbürgerinnen, die auch dafür sorgen, dass wir nicht abgehängt werden vom Rest der Welt. Dass sie alles hinkriegen, indem sie Vormittags-, Mittags-, Nachmittags- und Abendpausen machen (die Lokale sind jederzeit bestens gefüllt), ist eines der vielen Mysterien, die einem so begegnen, wenn man durch Wien geht und sich überlegt, wie das eigentlich geht da in Wien. Also warum da was geht, wo doch eigentlich immer nichts und niemand geht. Am Eck zur Porzellangasse ist aber tatsächlich nichts gegangen, da gibt es seit Jahrzehnten ein Palmersgeschäft. Ich finde das ziemlich beruhigend, wenngleich nicht minder mysteriös, weil ich schon früher in diesem Geschäft nie Kunden gesehen habe. Nur Schaufensterpuppen in der Auslage und die stehen immer noch an derselben Stelle. Im Winter in Seidenpyjamas, im Sommer in knappen Bikinis und eleganten Badeanzügen. Obwohl es erst Mai ist, ist in der Palmersauslage schon Sommer. Die Männer und Frauen, die ein paar Schritte weiter mit ihren Freunden und Freundinnen oder Kollegen und Kolleginnen so sommerlich-urban beisammensitzen, haben aber keine Augen für diese oder sonst eine Auslage. Sie haben nur Augen und Ohren füreinander. Als ob ein unsichtbarer Glassturz über sie gestülpt worden wäre, berichten, erzählen und besprechen sie da alles Mögliche und das in einer Intensität, als ob sie sich beweisen müssten, dass es sie wirklich gibt, also dass es sie wirklich so gibt, wie sie da beisammensitzen. Das Ganze könnte schließlich ja auch eine ziemlich große Schneekugel sein, die jemand ans Eck Serviten- und Berggasse geklebt hat.




Kommentare

  1. Wunderbar, diese Zustandsbeschreibung am Puls der Wienzeit!
    Als hätte man das alles selbst vor Augen.
    Lieben Montagsgruss,
    Brigitte

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    1. Danke! Ich kenne die beschriebene Ecke recht gut, das merkt man der Beschreibung wohl an! :)
      Liebe Grüße, Andrea

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