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Hermannliebe

(Schön langsam wird es schwierig, weil hier ja nur Ausschnitte stehen, der Zusammenhang mit anderen Textteilen oft einmal nicht ersichtlich ist, da müsst ihr euch was Passendes dazudenken. ;) ) 

Seit Hermann wild entschlossen ist, eine Zukunft zu haben, bin ich vorsichtig geworden. Ich lade ihn nicht mehr zu mir ein, und falls er echt noch einmal so überfallsartig kommen sollte, werde ich ihn direkt an der Tür abfertigen. Kein Schritt mehr in meine Wohnung, kein Schritt mehr auf meinen Teppich! Und ich baue vor, erzähle ihm ausführlich von dem Neuen, den ich über eine Dating App kennengelernt habe. Erzähle ihm, dass es da extra Apps für unsereins gibt. „Für den zweiten oder dritten Frühling“, sage ich. Hermann lacht und ich hoffe, dass er verstanden hat, was ich ihm damit sagen will. Ich besuche ihn nämlich gern in seinem Garten – ich mag das Gemächliche, die Ruhe und die Farben –, ich höre ihm auch gern zu, wenn er mir (jedes Mal wieder) die Namen der Pflanzen und ihre botanischen Besonderheiten erläutert. Wenn er mir erzählt, wo er welches Blümchen warum gekauft oder von wem er es wann geschenkt bekommen hat. Wo in wenigen Wochen welche Stauden blühen werden und warum man dieses oder jenes nicht zu tief oder zu hoch einsetzen darf, weil es sonst nie blühen wird. Nicht dass mich dieses Pflanzenthema interessieren würde, aber ich mag seinen Garten fast so gern wie Annemies Schrebergarten und ich mag Hermann, wenn er so begeistert ist, dass er nicht nur seine abgeschmackten Lebensweisheiten, sonders dass er auch mich fast vergisst. Da kann ich ihm ins Gesicht schauen, ohne dass er mich mit seinen Augen durchbohren will wie mit einem Liebespfeil. Ganz am Anfang, als ich ihn kennenlernte, war das anders. Nach Georg und ein paar echten Pleiten an der WU hat mir so einer wie Hermann mit seiner Liebe wie ein Schraubstock schon gefallen, aber auf die Dauer war die Hermannliebe doch nicht auszuhalten: Bin ich zum Kopierer gegangen, ist er auch zum Kopierer gegangen. Habe ich mich zum Kuvertieren gemeldet, hat er sich auch gemeldet. Bin ich in die Rauchpause gegangen, ist auch er in die Rauchpause gegangen. Und zuhause hat ständig das Telefon geläutet. Unter tausend Vorwänden. Ständig war er um mich und hat sich bemüht, mir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen – da hat er sich wenigstens von dem Mann, mit dem ich verheiratet gewesen bin, unterschieden, allerdings nicht zum Guten. Wenn mir etwas vom Schreibtisch gefallen ist, hat er danach gegriffen, da war es noch gar nicht am Boden angekommen, und habe ich nur den Kopf gehoben, hat er schon gefragt, ob ich einen Kaffee will und natürlich hat er genau gewusst, dass ich ihn mit Milch und ohne Zucker trinke. Jeden zweiten Tag hat er neben den Kaffee noch eine kleine Süßigkeit gelegt. Schrecklich. Es ist doch mein Kopf. Das sind doch meine Wünsche und meine Lippen und nichts davon ging und geht den guten Hermann etwas an. Das hat er dann eines Tages auch endlich begriffen, und nachdem er versucht hat, mir ein schlechtes Gewissen zu machen (übrigens durchaus mit Erfolg, aber auch das hat nicht lang vorgehalten), hat er dann tatsächlich gekündigt. Ist in eine andere Agentur gegangen, wo ihm dann diese Lisa über den Weg gelaufen ist. Hermannliebe, Hermannkarma, sage ich nur. Wie ich aber jetzt so neben ihm durch seinen Garten gehe – es ist ja noch immer Mai und die Sonne scheint und ihre Wärme macht mir das Herz weit –, denke ich, dass ein bisschen Hermann da vielleicht doch noch hineinpassen könnte. Eine kleine Gartenliebe wäre das, denke ich, und als ob er das ahnen würde, dreht er sich plötzlich von den Pfingstrosen, die gerade am Aufspringen sind, weg und her zu mir. Er hebt seine Hand, um sie mir um die Schulter zu legen, eine freundschaftliche Geste, die mehr werden könnte, aber weiß die Hölle warum: ich zucke weg, als ob er drauf und dran gewesen wäre, mir eine Ohrfeige zu verpassen. Im selben Moment summt mein Handy: ‚Ma chère Ella, bin da. LGG‘.


Kommentare

  1. Verschwenderisch in Liebe und Worten. :--)
    Fast wie der Frühling selbst...

    Lieben Heutegruss,
    Brigitte

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    1. Tatsächlich: verschwenderisch! :)
      Liebe Grüße, Andrea

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  2. Unklare Worte in Beziehungen haben unklare Verhältnisse zur folge, Gartenliebe, Hermannliebe hin oder her ;)
    Herzliche Schmunzelgrüße

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    1. Ich glaube ja, dass es eine Wechselwirkung zwischen Worten und Verhältnissen gibt, also dass das nicht so linear, resp. nach einem einfachen Ursache-Wirkung-Modell läuft. Aber unklar ist in dem ganzen Text jede Menge. Da stimme ich dir zu. :)
      Liebe Grüße, Andrea

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