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Ein Fenstertag in Wien

Ich bin an Fenstertagen besonders gern in der Stadt. Sie ist dann so anders. So still und wenn ich so früh wie heute unterwegs bin, ist sie sogar ein bisschen verträumt. Oder verwunschen wie der Mogatschwald, wo mein Vater jagen gewesen ist. Wo Georg hingezogen ist, als ich in Griechenland war, vergiss Georg. Jede Menge Parkplätze sind frei, nur der neu aufgestellte Fahrradständer ist voll. Halb Wien ist am Land, viele sind überhaupt gleich für ein paar Tage ans Meer geflogen. Ich nehme den direkten Weg, den durch den Beserlpark, um diese Zeit ist die Bettlerin eh noch nicht da. Gibt es heuer wirklich mehr Vogelgezwitscher als in den Jahren zuvor? Ob auch die Vögel aus der Ukraine geflüchtet sind? Ich überlege, wie das gewesen ist, als gestern die drei Regierungsoberhäupter von Deutschland, Frankreich und Italien in Kiew angekommen sind. (Ich zähle die Häupter meiner Lieben und siehe da, es waren drei!) Und dann gab’s Luftalarm. Die Vögel flüchten und die Politiker fahren hin. Ich denke: was für ein reger Reiseverkehr, und bei uns ist der Morgen aus Glas. Ein lautes Wort und er zerspringt. Vielleicht bin ich überhaupt die Letzte, vielleicht sind alle anderen schon weg? Ich habe heute Nacht nach dem heftigen Gewitter, der Flasche Prosecco und dem Schnaps so tief geschlafen, wer weiß, was in der Nacht passiert ist. Die Straßen sind auf jeden Fall noch nass und die Luft ist klar. Und ich werde so ziemlich die Einzige im Büro sein. Sehr angenehm.

Ich habe mich geirrt, der Oswald ist da. Schon beim Aufsperren höre ich ihn reden, ziemlich laut, was eigentlich gar nicht seine Art ist. Ich will ihn begrüßen und schauen, wer da noch im Büro ist, da sehe ich ihn an seinem Schreibtisch sitzen und neben ihm steht, was für eine Überraschung, die Zappletal. Die Zappletal im Büro an einem Fenstertag??? Die beiden haben mich nicht gehört, sie diskutieren ziemlich laut und um die neue Kampagne geht es nicht. Es geht um Oswald und wie er eigentlich drauf ist, und es geht um Annemie und um Prag und um sein Recht und um ihr Recht, also das Recht von der Zappletal. Ein paar aufgeschnappte Worte genügen mir, ich grüße ins Zimmer hinein, falls sie mich doch gesehen haben, und schaue, dass ich weiterkomme. Die Zappletal tut mir fast leid. Da nützen ihr jetzt ihre ganzen Fingernägel und die verlängerten Wimpern nichts. Und die arschengen Hosen. Und das Botox. Der Oswald geht nach Prag und das mit Annemie.

In meinem Zimmer hängt noch die Hitze des Feiertags, ich mache das Fenster auf, schaue auf die Straße hinunter. Immer noch ist kaum etwas los. Nur die Streiterei aus dem Nebenzimmer stört die Ruhe. Ob ich heute mit der Diversitygeschichte vorankomme? Ich habe Zweifel. Mir ist heute nicht nach Viel und Verschieden. Mir ist heute nach genau dem Gegenteil. Aber ein Job ist ein Job ist ein Job. Ich beschließe, Filo anzurufen. Vielleicht fällt ihr was ein. Sie ist neuerdings ja divers. Und wie ich Filo kenne, wird selbst die größte Liebe sie nicht still machen. Sie hat ganz sicher noch jede Menge zu sagen und das hoffentlich mit Schwung. Schmissig, denke ich, was natürlich vollkommen daneben ist. Trotzdem stelle ich mir vor, wie Filo mit Schmiss in der Wange dasteht, eines dieser lächerlichen Käppis am Kopf, die Regenbogenfahne schwingend wie die französische Marianne. Im Hintergrund vielleicht noch ihr Buzzi, ganz in der Ferne ein im Gleichschritt marschierendes Bataillon Verbindungsfiguren. Drüber ein Schriftzug „Feel Free, Stay Alive“. Ganz kurz finde ich die Idee witzig. Ich stelle meine Tasche ab, schalte den Laptop ein. Als ich meine Jacke über den Sessel hänge, erinnere ich mich plötzlich an das Sakko von Michael. Es ist ganz ähnlich wie das von Georg. Hellgrünes Leinen, ziemlich zerknittert, nur viel weniger verblichen. Weil heute eh schon so ein verrückter Morgen ist, denke ich mir, dass das ein Zeichen ist. Ein gutes oder ein schlechtes? Wahrscheinlich beides, denke ich und merke, dass ich zu grinsen anfange. Annemie hätte ihre Freude an mir. Ina und ich haben Georg gestern in der ZIB2 gesehen, er hat allerhand zur Ukraine und zu Russland gesagt, aber das Sakko war nicht das hellgrüne. Ina hat mich dann in ein Gespräch über meine Zukunft verwickelt, da musste ich dann noch den Haselnussschnaps aufmachen, den sie mir letztes Jahr mit einem Großfamilienpaket Mannerschnitten im Büro zum Geburtstag geschenkt haben. Ich liebe Haselnüsse und alles, das nach Haselnüssen schmeckt, und kriege immer irgendwas mit Haselnüssen geschenkt. Der Schnaps war wirklich gut und ich habe beschlossen nachzufragen, wo sie den besorgt haben. Mehr weiß ich nicht mehr über meine Zukunft. Und jetzt geht es eh erst einmal um meine Gegenwart. Ich muss da was zusammenbringen, sonst bin ich die nächste, die abgeschossen wird. Und ich habe kein Hobby wie der Oswald. 



Kommentare

  1. Schön, diese Gedankenreise auf tausend und zurück. :--)
    Fenstertage sind wohl das, was wir hier Brückentage nennen?
    EIn gemütliches Wochenende wünsche ich dir.
    Lieben Gruss,
    Brigitte

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    1. Ja, den Ausdruck "Brückentag" gibt es eh bei uns auch. Mir hat das "Fenstertag" aber besser in den Text gepasst.
      Liebe Grüße und ein schönes Sommerwochenende!
      Andrea

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