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Last Call (Ausschnitt)

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Last Call

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass mir der Abschied so schwer fällt“, sagte Josefine zu Elmar, der ungeduldig am Treppenabsatz stand. Der Makler saß ihm im Nacken, alles sei unterschriftsreif, überreif, Elmar und Josefine sollten endlich ihre Unterschriften unter den Vertrag setzen, er habe sogar schon jemanden an der Hand, es würde schnell gehen, er würde das Anwesen mit Sicherheit im Kürze an den Mann gebracht haben.

Das alles hatte Elmar zu Josefine in den Stock hinauf gerufen und dieser Verkauf war ja auch vielmehr ihr als sein Wunsch gewesen, trotzdem hatte es eine Ewigkeit gedauert, bis sie endlich reagiert hatte und schließlich auch herunterkam.

Als traute sie den Stufen nicht zu, sie zu tragen, setzte sie ihre Schritte mit großer Vorsicht, langsam, wie in Zeitlupe, wobei sie zart, nein: zärtlich über das dunkle Holz des Handlaufs strich. Zärtlich war auch der Blick, mit dem sie nicht nur den vor ihr liegenden Salon, sondern alle Räume der alten Villa zu umfassen schien und der schließlich auf Elmar liegen blieb. Sein Ärger verflog in der Sekunde.

„Wir hatten ja auch eine schöne Zeit“, sagte er, sanft geworden, besänftigt.

„Ihr habt eine schöne Zeit“, sagte Greta, die hinter Elmars Rücken hervorgetreten war. „Immer, egal wo ihr seid.“

Da schlug Josefines Herz plötzlich mit so viel Kraft an die Brust, dass es ihr weh tat, und als sie den Klumpen schlucken wollte, der ihr im Hals steckte, schmerzte sie auch der Hals. Elmar würde doch nicht? Nein, sie hatte das Laryngoskop die ganze Zeit über nicht gesehen. Ein kurzer Blick – nein, auch an Elmars Hosentaschen zeichnete sich außer Handy und Geldbörse nichts ab. Andererseits ging er nie ohne sein Laryngoskop aus dem Haus, schließlich konnte jederzeit ein Notfall eintreten, den er als Arzt, sofern er entsprechend vorbereitet war, zu einem Glücksfall wenden konnte:

„Nichts ist bewegender als das Glück im Unglück“, hatte er ihr gleich bei der ersten Verabredung erklärt. Und je größer das Unglück sei, umso größer müsse das Glück sein. „Und was ist am größten? Natürlich Leben und Tod!“

Elmar saß wie alle Anästhesisten schließlich schon von Berufs wegen auf dieser Schwelle, wie man sie sich zwischen Leben und Tod so vorstellt, Josefine hatte das über die Jahre nur vergessen, aber in diesem Moment, als er ungeduldig da unten am Treppenabsatz stand und auf sie wartete, als es so weit war, dass sie diesen alten Kasten und diesen verwunschenen Garten endlich aufgeben würden, wusste sie und das in all der Schärfe, die so ein Moment entwickeln kann: einschneidend. Schmerzhaft: Er hatte sie nicht in den Schlaf versetzt, er hatte sie nicht beatmet. Nie. Sie war bis in die hintersten Träume hinein immer wach gewesen.

„Deshalb habe ich mir soviel Zeit gelassen“, sagte sie und – was ein Wunder war: Elmar verstand sie. Nicht verstanden sie die umstehenden Leute, die Politikberater, Coaches, Stylisten, Visionäre, Tontechniker, Taschenträger, Platzanweiser, Abschieber, Wegbegleiter, Lotsen, Sprechtrainer, Friseure und Kosmetiker. Und auch Gutmann zögerte, ob er das alles für bare Münze nehmen sollte. Leben und Tod, war das nicht ihm vorbehalten? Was hatte er nicht alles dafür geopfert!

„Kommst du mit?“, fragte er Mercedes.

„Vielleicht“, sagte sie.

An die Terrassentür gepresst fanden sich einige Ohren: die der Bauern Huber und Bergwinkler, sie hörten mit. Beranek, der die am Gartentor hängenden leeren Polizeiuniformen gesehen und daraus geschlossen hatte, dass er nun die einzige öffentliche Einsatzkraft war, schrieb bereits an einer Anzeige wegen Besitzstörung. Ob sie sich auf die Bauern oder auf Gutmann bezog, ließ er sich nicht anmerken.

Meller schrieb auch, es war ein Liebesbrief an Greta, die aber, als Josefine sich Elmar zuwandte, solch einen Gefallen am Bauch des Maklers fand, dass sie vollkommen immun gegen Meller wurde, was den aber nicht vom Schreiben abhielt. Er war es gewöhnt zu warten und bis sie sich eines Besseren besinnen würde (womit er selbstverständlich sich selbst meinte), würde er hier bleiben. Er hatte ja ein Unterkommen gefunden. Was für ein Glück!

„Komm, es wird Zeit“, sagte Josefine zu Elmar, drückte ihm einen Kugelschreiber in die Hand und schob ihm den Vertrag zu. Als er ihre Unterschrift sah, wurde ihm das Herz schwer und nach dem Herz die Hand. Es war schließlich Greta, die sie ihm führte, als auch er unterschrieb.

Der Makler Leopold steckte den Vertrag in seine Tasche, Greta sagte aufseufzend: „Was für eine schwere Geburt“ und fuhr dem Mann mit einem Finger zwischen die untersten Knöpfe seines Hemdes.

„Was für ein wunderbarer Tag!“, befand der Makler Leopold und streckte seine Glieder.

 

 

 

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