Direkt zum Hauptbereich

Das Märchen vom verzauberten Prinzen

‚Am kühlen Wiesengrunde, da fand ich deinen gold’nen Schuh.‘ Da singt jemand! Da singt jemand, der mit einem grünen Umhang im Wald herumsteht und schon lang denkt, dass er nicht das Rumpelstilzchen, sondern ein verzauberter Prinz ist. Seit ihm die wunderbare Weise vom Wiesengrund und dem gold‘nenSchuh in den Sinn gekommen ist, hat er auch die letzten Zweifel verloren – so sicher verloren, wie er früher, als alles begann, seine Unschuld verloren hat. Er singt das Lied aus naheliegenden Gründen also immer wieder und das mit einer Inbrunst, dass sich der Wiesengrund eines Tages seiner erbarmt und ihm aus dem Gewölle der Nachteule einen wunderschönen Schuh aufs Gras würgt. Der verzauberte Prinz hat – wie wir ja wissen – keinen Sinn für Realitäten, also bemerkt er den kleinen Trick nicht. Er hält abrupt inne, als er sieht, was da vor ihm liegt. Er kann es kaum fassen, schon fürchtet er, dass ihm das Bewusstsein abhanden kommt, aber womöglich ginge ihm der wunderschöne Schuh mitsamt dem Bewusstsein verloren, also reißt sich unser verzauberter Prinz zusammen. Er hüpft von einem Bein aufs andere, um sein Entzücken zu zügeln, aber er gerät dabei trotzdem so außer sich, dass der Waldboden unter seinen Tritten zu schwingen beginnt. Fast gibt es ein Erdbeben: Das Ende ist nah!, aber die Begeisterung findet das Ende einfach nicht, und so fegt sie schließlich über Stock und Stein, über Himmel und Erde, und natürlich auch über die Wiesen und Wälder wie ein Orkan. Ja, der verzauberte Prinz ist echt von den Socken, die natürlich auch verzaubert sind, und deshalb wachsen ihnen kleine Flügel, obwohl die doch schon seit Jahrhunderten jemand anderem gehören. Wäre der verzauberte Prinz auch nur ein bisschen gebildet oder sähe er wenigstens ab und zu fern, so wüsste er das auch. Doch er ist ja nur verzaubert und nicht gebildet, also hält er die Flügel für seine eigenen, und wie das so ist, wenn man etwas glaubt, also so richtig glaubt, und wenn das kein Märchen, sondern echte und wahrhaftig belegte Wahrheit ist, dann ist das ganz wunderbar für unseren verzauberten Prinzen: die fremden Flügel werden ihn, den gold‘nenSchuh in der Hand, im Sturm über die Wälder tragen, und wenn der Zauber nachlässt und er auf die Erde plumpst, wird er die eine finden, deren Fuß in den Schuh passt. 

 






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Henriette lächelt

Große Freude (und Aufregung ... ;) ): Ab heute gibt es die Henriette im Buchhandel: Henriette lächelt - Picus Verlag

Zum Jahresausklang

  Auch wenn ich nicht weiß, wie ich mein Glück mit den vielen schrecklichen Dingen, die gleichzeitig passieren, in Übereinklang bringen soll (ich kann es nicht in Übereinklang bringen): Für mich geht heute ein ganz besonderes Jahr zuende, meine zweite Enkeltochter ist auf die Welt gekommen, mein erstes Buch ist erschienen und es gab noch viele andere glücklichmachende Erlebnisse, Erfahrungen, Umstände,... Was für ein Jahr! Ich werde es ausgiebig feiern und verabschieden - und das neue dann ebenso eröffnen. So manches weiß ich ja schon von dem, das da auf mich wartet. Ich bin voller Vorfreude! Meine guten Wünsche ans kommende Jahr gelten meiner Familie, meinen Freunden und Freundinnen, Begleitern und Begleiterinnen. Wäre ich esoterisch, würde ich aber alle meine Energien und Kräfte bündeln für die, die sie dringender brauchen.

Reisen. Immer reisen.

 . Die Welt, ein Reisekatalog und lauter Ziele. Endlich Ziele. Irgendwo aufschlagen, nur ein wenig schielen, damit wir die High-End-Seiten erwischen mit den High-End-Zielen, so unbestimmt die Sehnsucht ist, so bestimmt sind ihre Ziele, die Augen geschlossen, mit dem Finger wohin getippt: Reisen. Reisen wie auf der Flucht, obwohl wir doch die mit den guten Leben sind. Flucht nach vorne. Ins noch bessere Leben, im Fall des Falles auch dorthin, wo die mit den viel schlechteren Leben leben. An diesen herrlichen Stränden. In diesen malerischen Land- und Ort- und Stadtschaften. Wo die mit den glücklichen Gesichtern leben, wo sie so glücklich sind und nicht reisen müssen wie wir, die im Wohlstand feststecken wie im Glückssirup. Reisen, immer reisen, reisen. Der Schönheit, der Besonderheit, den Ausnahmen, unseretwegen auch der Armut hinterher, wenn es nicht anders geht und wenn sie uns nicht ungefragt unters Hemd greift, und der Sonne, die alles so unterschiedslos. So unfair, wie wir selbst es