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Der Tag beginnt

Der Tag beginnt grau wie jeder Tag, bald aber wird er aufgehen wie ein Germteig. „Nimm mich!“, wird er sagen, wenn ich ihm die Vorhänge wegziehe, und ich werde mich verschämt auf die Seite drehen. „Sei doch nicht immer so direkt!“, werde ich sagen und mit einem halben Auge hinauslinsen, weil wie er ausschaut, will ich schon wissen. Groß ist er. Größer als es die Welt je sein wird, und so hell. Kein Wunder, es ist Mai und da tun die Tage gern so frisch und jung, als ob sie sich wie zum Anbeißen vor mein Fenster gestellt hätten, dabei wollen sie immer nur das eine: aufgehen und am Himmel stehen.

Im Büro geht es wieder einmal drunter und drüber. Keiner hat was, keiner kann was, vor allem kann keiner was dafür. Und wollen tut sowieso keiner. Nicht so. E-Mails ohne Ende, ich werde mit Spam geflutet, dazwischen Mitteilungen, Newsletter (Habe ich die wirklich alle abonniert?), Anfragen, Bewerbungen, Ankündigungen, Einladungen zu irgendwelchen Frühlingsevents mit wichtigen Leuten. Die Homepage läuft nicht richtig („Irgendwas mit den Links geht nicht“), der Vermieter kündigt Bauarbeiten an der Fassade an, die Versicherung wird die Beiträge erhöhen, unsere Covidbeauftragte will jetzt doch lieber die Datenschutzbeauftragte sein, in der Buchhaltung fehlt schon wieder ein Beleg und das Handy läutet ununterbrochen. Dazu die grässlichen Whatsappgruppen, ein Schwachsinn nach dem anderen, erbarmungslos. Haben die Leute nichts Besseres zu tun? Haben die überhaupt irgendwas zu tun? Dann ist auch noch die Zappletal verdammt leutselig. Sehr gefährlich. Sie findet meinen neuen Haarschnitt richtig gut („Ja, ich hab‘ eine neue Friseurin, superlieb und supergut. In der Haidgasse.“) und die Präsentation gestern sei mir übrigens auch echt gut gelungen. Kompetent und doch nicht fad. Die Zappletal will irgendwas von mir. Wahrscheinlich soll ich ihr am Samstag den Journaldienst abnehmen. Nicht mit mir. Nicht schon wieder. Ich brauche erst einmal einen Kaffee. Durchatmen.  

 


 

Kommentare

  1. Herrlich! Das pralle Leben eben.
    Und wenn der Tag schon so beginnt, na, das kann ja heiter werden. :--)
    Einen frohen Gruss in den hellen Maientag,
    Brigitte

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    1. Das freut mich, wenn die Beschreibung Erwartungen weckt! :)
      Liebe Grüße, Andrea

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  2. Hier würde man sagen: Da tobt der Bär - spannend und sicher gleichzeitig auch nervig. - Ab und zu einfach mal durchatmen, und W-Gruppen ignorieren ;) Dir einen letztendlich fröhlichen Maitag.

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    1. Tatsächlich bin ich froh, dass ich diesen Tagesanfang nur geschrieben, also nur in der Phantasie durcherlebt habe! :))) Ob meine Ich-Erzählerin deinen Ratschlag annehmen würde? Ich fürchte eher nicht. ;) Aber ich könnte ja versuchen, ihn ihr nahezubringen! :)
      Liebe Grüße, Andrea

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    2. Vielleicht aber würde die Geschichte dann langweilig. Also lass es lieber ;)

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