„Ich muss jetzt
aber“, habe ich zu meiner Mutter gesagt und mich gleich nach dem Kaffee ins
Auto gesetzt. Ich freue mich auf Annemie. Auf die Ruhe. „Hirnauslüften“ nennt
sie das, wenn wir, nachdem die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht sind, im
Garten sitzen und die Gesichter in die Sonne halten. Das hab‘ ich eh grad
dringend nötig. Annemie hat mich ja schon damals in der WU praktisch gerettet,
hat mich aus dem ganzen Haufen von WUlern herausgefischt und mich gefragt, ob
wir nicht gemeinsam für die Prüfung lernen wollen. Wir hatten uns vorher schon
öfter gesehen, sind auch ein paar Mal nebeneinander gesessen, am Semesterende
hat sie mich dann angesprochen. Weil ich wie sie immer mitgeschrieben hatte,
auch wenn meine Mitschriften weder so vollständig, noch so ordentlich wie ihre
waren. „Aber du hast immerhin welche gehabt“, hat sie mir später mal erzählt.
Und sympathisch war ich ihr auch. („Warum. Warum. Was du immer fragst!“) Ich steige
aufs Gas. Die Straßen sind an einem Sonntag um diese Uhrzeit leer und für
Kontrollen ist es noch zu früh, da stellt sich kein Polizist auf die Straße, ich
werde pünktlich sein. Einmal so richtig draufdrücken, als ob es die ganze Welt
da draußen nur gibt, weil es mich gibt. Nur mich, die eine Schneise in diesen
verschlafenen Sonntag fährt. Doch da fällt mir der Joschi ein und wie sie ihn
aus dem Wrack schneiden haben müssen. Den hat es auch ganz zeitig in der Früh
erwischt. Ich nehme den Fuß vom Gas.
Annemie hat schon
alles vorbereitet. Der kleine Tisch auf der Terrasse ist gedeckt (das bunte
Geschirr von Ikea), genau genommen ist er ziemlich angeräumt, jede Lücke
zwischen den Tellern und Häferln ist gefüllt: Weiche Eier, Toast, Butter, Käse,
Marmelade. Honig. Erdbeeren. Sogar Lachs, gleich neben meinem Sektglas. „Alles
bio!“, ruft Annemie und verschwindet in der Hütte. Sie hat mich nicht einmal
richtig begrüßt. „Ich mach‘ nur noch schnell den Kaffee!“ Das Geklapper
erinnert mich an meine Mutter. „Soll ich dir helfen?“ „Nein, geht eh schnell, bin
gleich wieder da.“ Ich bin irritiert. So eine Hektik. Auch als sie zurückkommt,
ist sie anders als sonst. Als ob sie jede Bewegung um eine Spur schneller
machen würde, sie atmet sogar schneller als sonst, kommt mir vor. Es fehlt nur
noch, dass sie den Kaffee danebenschüttet. Endlich lässt sie sich auf ihren
Sessel fallen: „Sag, wie geht’s dir?“ „Schön hast das alles hergerichtet!“,
sage ich. „Alles bio!“, wiederholt sie. „Super!“, sage ich und köpfe ein Ei.
Ein kurzer Blick in den Garten: „Herrlich!“ „Ja, im Juni ist’s am schönsten“,
sagt sie. „Ist der Eibisch eigentlich noch gekommen?“ „Ja, die scheinen einfach
so spät auszutreiben, da hab‘ ich mir zu früh Sorgen gemacht.“ Hektisch ist sie
jetzt nicht mehr, eher das Gegenteil. Sie redet langsam, sie zieht sich wie ein
Strudelteig. Sogar wo es grad um eine ihrer heißgeliebten Pflanzen gehen würde,
ist sie irgendwie unbeteiligt, als ob sie sich langweilen würde. Wenn das so
weitergeht, fahre ich nach dem Frühstück nachhause, da sagt sie: „Arg das mit
dem Herbert, gell.“ Ich weiß nicht, wen sie meint, aber weil sie das gar so
beiläufig gesagt hat (noch beiläufiger wäre gar nicht möglich gewesen), bin ich
sofort voll da. „Was für ein Herbert?“ „Na der Herbert Oswald.“ Das ist es
also, denke ich, während sich diese Überraschung (Ich hasse Überraschungen.) irgendwo
zwischen Magen und Herz breitmacht. (Jeder Schuss ein Treffer.) „Ja, der hat sich
was Neues suchen müssen.“ Ich kratze das letzte Eiweiß aus der Schale. „Und woher
kennst du den?“ „Der ist vor einiger Zeit im Hausflur gestanden. Vor der Tür
von der Zappletal. Blumenstrauß in der Hand und die Zappletal hat nicht
aufgemacht. Oder war gar nicht da. Und wie ich so vom Lift zu meiner Tür gehe, dreht
er sich um und streckt mir die Blumen entgegen.“
„Wo die Liebe
hinfällt“ und „Wenn nicht jetzt, wann dann“ und „Was lange währt, wird endlich
gut“ (das war Annemie dann aber sogar selbst peinlich). Ich weiß auch nicht,
warum die wichtigsten Dinge des Lebens immer so abgefuckt daherkommen müssen. Hat
nur noch „Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum“ gefehlt. Oder das „späte
Glück“. Oder „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“. Sache ist, dass Annemie mit dem
Oswald, sorry, mit dem Herbert nach Prag ziehen will, weil der dort was angeboten
bekommen hat und sie seit Corona eh fast nur noch im Homeoffice arbeitet. Was
mit Computerspielen soll das sein, für das sie den Oswald in Prag brauchen
können. Und die wollen genau den Oswald – weil? Der Oswald testet die Spiele von
der Firma schon lang, so nebenher, als Hobby (Der Oswald hat ein Hobby???) und
die brauchen schon länger einen, der sich mit Deutschland und Österreich
auskennt. „Was es nicht alles gibt“, habe ich gesagt und gedacht habe ich: ‚Glück
in der Liebe, Pech im Spiel‘, wobei ich dem Oswald letzteres auch gleich mit
aller Kraft an den Hals gewünscht habe. Viel mehr hat Annemie wie üblich nicht
erzählt, was mich diesmal auch überhaupt nicht gestört hat, ich war eh nicht
neugierig auf irgendwelche Ich-Ziehe-Mit-Oswald-Nach-Prag-Geschichten. Ich muss
das alles erst einmal verdauen. „Da wird die Zappletal aber blöd schauen,“ hab‘
ich dann doch noch herausgebracht und Annemie, die mich kennt wie keine andere,
hat geantwortet: „Es sind ja nur dreieinhalb Stunden von Prag nach Wien. Und von
Wien nach Prag auch.“ Und sie kommt ja eh mindestens ein Mal im Monat für ein
paar Tage nach Wien, weil nur Homeoffice geht ja eh nicht.
Tja, das sind die unverhergesehenen Wendungen und Kurven, die das Leben macht. Nicht immer zur Freude aller...
AntwortenLöschenUnd das mit der Liebe scheint auch in dieser Geschichte echt kompliziert zu sein. :--)
Einen guten Wochenanfang wünsche ich und lasse liebe Grüsse hier,
Brigitte
Ich fürchte, dass es in dieser Geschichte ganz generell schwierig ist mit der Liebe. ;)
Löschen- Über Brüche / Bruchlinien zu schreiben, das ist ergiebiger, zumindest wenn man (Schreibender wie Lesender) nicht beharren (im Sinn von verharren), sondern fortkommen (im Sinn von neu-denken, verändern) will. So oder so ähnlich sehe ich das. :)
Liebe Grüße, Andrea
"Hirnauslüften" - das Wort gefällt mir sehr. Ich nehme es gern mit und in meinen Wortschatz auf. Mal sehen, wann und wie es dann wieder zum Vorschein kommt. Dir einen kreativen Wochenanfang.
AntwortenLöschenIch mache dieses Hirnauslüften auch gern - und oft. :))
LöschenLiebe Grüße, Andrea