Bevor er loslegt,
geht der Koch in seiner schwarzer Kochmontur die Gasträume ab. Er scheint sich
anzuschauen, für wen er heute am Herd stehen wird. Ich versuche einen guten Eindruck
zu machen und bemühe mich um einen freundlichen, aber auch fachkundigen
Gesichtsausdruck. Er soll sehen, dass ich zu schätzen wissen werde, was er mir
auf den Teller bringt. Manchen Gästen nickt er zu, mit anderen wechselt er kurz
ein paar Worte, ich vermute, dass es Stammgäste sind wie das ältere Ehepaar
gegenüber. Ich denke „älteres Ehepaar“ und hoffe, dass die beiden wirklich zehn
Jahre älter sind als ich. Sie haben schon fast aufgegessen, den Resten nach zu
urteilen hat es sich um dieses Gulasch vom Maibock gehandelt, das ich schon auf
der Tageskarte gesehen habe. Die beiden wirken zufrieden und ich stelle mir
vor, dass sie jeden Abend hier in den Friedensrichter essen gehen und sich immer
etwas von der Tageskarte aussuchen, ein Seidl Bier oder ein Achtel Wein dazu
trinken und auf diese Weise ihren Tag beschließen. Ich stelle mir vor, dass sie
das in genau der Selbstverständlichkeit tun, mit der sie sich nun den Mund abwischen
und die Serviette (Stoff) zur Seite legen. ‚Als ob sie hier zuhause wären‘,
denke ich. Der Kellner bringt ihnen die Rechnung, er ist einer von der Sorte,
der seine Gäste mit milder Strenge durch das Wirtshausgeschehen führt und auf
diese Weise dafür sorgt, dass weder Bestellungen noch Gäste aus dem Ruder laufen.
Die Rechnung bringt er dem älteren Ehepaar mit demselben Gleichmut an den Tisch,
mit dem er auch das Trinkgeld entgegennimmt. Er wäre allerdings keinen Deut anders,
gäbe es kein Trinkgeld, vermute ich, und dass ihn wahrscheinlich nur irgendein
Hipstergehabe oder abgefahrene Sonderwünsche aus der Reserve locken könnten. Ich
schaue wieder in die Speisekarte, klassische Wiener Küche. Echte Tradition ohne
Authentizitäts-Schnickschnack oder seltsame Neuinterpretationen, dafür aus
Produkten, die aus Wien und dem Umland stammen. Ich entschließe mich nach
langem Hin und Her für das ausgelöste Backhendel, warte mit dem Bestellen aber
noch, bis Georg kommt. Als wir zwei oder drei Stunden später gehen, sitzt der
Koch mit ein paar Leuten am letzten Tisch vor dem Ausgang und unterhält sich
angeregt, unterbricht die Unterhaltung aber, um uns zu verabschieden. „Danke,
es hat sehr gut geschmeckt!“, antworte ich und komme mir jetzt fast wie ein
Stammgast vor.
‚Manchmal lache ich,
aber mein Lachen bleibt nicht bei mir. Es verlässt mich genauso wie du mich damals
verlassen hast, und es verliert sich irgendwo da draußen, wie du dich damals
verloren hast.‘ Verdammt, du
bist der Hauptgewinn gewesen und jetzt? Was ist jetzt?‘ – Das sage ich alles natürlich
nicht, ich schneide in meinem Backhendel herum und bestelle mir ein Achtel nach
dem anderen, weil das Ganze anders nicht auszuhalten ist. ‚Nichts ist schlimmer
als eine verzweifelte Frau‘, denke ich und reiße mich zusammen. Ich habe nun doch
bestellt, weil Georg immer noch nicht gekommen ist und wahrscheinlich auch
nicht mehr kommen wird. ‚Mein Bett bleibt kalt‘, denke ich, da sehe ich mit einem
Schlag die sieben Zwerge um die Vase herumturnen, die bestückt mit einer
blassrosa Rose in der Mitte des Tisches steht. Da fassen sie sich auch schon an
den Händen und tanzen im Kreis herum wie um einen Maibaum. Dann lassen sie wie
auf ein geheimes Kommando den Kreis aufgehen, stellen sich oberhalb meines
Tellers genau mir gegenüber in einer Linie auf und tanzen völlig unpassend
einen Sirtaki. „Lasst das ja nicht den Kellner sehen!“, flüstere ich und schalte
mein Handy auf lautlos. Die Zwerge finden das offensichtlich lustig, sie tanzen
weiter, werden immer schneller und öffnen und schließen nun auch noch ihre Münder
zu irgendwelchen lautlosen Geräuschen im Takt der lautlosen Melodie. Fast
versöhnt mich dieses Schauspiel. Und das Backhendl schmeckt auch richtig gut,
sodass ich fast zufrieden bin, als ich beschließe nicht mehr länger auf Georg zu
warten (es wäre eh vollkommen sinnlos gewesen). Natürlich ist Georg in Wirklichkeit
aber eh gekommen und das pünktlich und dann hat er geredet und geredet und
geredet. ‚Normal‘ ist, wie ich umgehend bemerke, jetzt sein neues
Lieblingswort. Es sei normal, dass er Rita nicht verlasse. Er sei schließlich
keiner dieser Männer, die sich am Ende abputzen würden, und nichts anderes wäre
es, wenn er diese Frau jetzt verlassen würde, wo sie hoffnungslos alt sei (er
sagt echt ‚hoffnungslos‘!). Sie sei schließlich so viele Jahre die seine gewesen
und glückliche Jahre seien es gewesen. Aber natürlich käme jetzt der
Altersunterschied mit jedem Tag heftiger zum Tragen und leicht sei das auch für
ihn nicht und auch das sei normal, aber er würde das aushalten. Und auch das
sei normal, wenn einer kein Schwein ist, und ein Schwein wäre er nun einmal nicht.
Wäre er nie gewesen. Es sei aber natürlich auch normal, dass mir das nicht gefällt.
Und natürlich könne er verstehen, dass ich ihn nicht verstehen kann. Das sei
eben normal, eine natürliche Folge der natürlich schwierigen Umstände. ‚Natürlich‘
ist aktuell offenkundig sein zweitliebstes Wort. „So ein Arschloch!“, sagt
Filo, als ich ihr das erzähle. Und Annemie meint, dass das mit Georg leider
wirklich normal sei, aber natürlich nicht natürlich, „weil die Natur geben wir ihnen
nicht auch noch.“ Wie so oft trifft Annemie damit den Nagel auf den Kopf. Ina
habe ich nicht dazu gebeten, als Georgs Schwester habe ich sie in Verdacht,
dass sie parteiisch ist. Außerdem hat es ihr von Anfang an gefallen, dass Georg
sich eine soviel ältere Frau genommen hat, das hat in ihr Konzept von ihrer
außergewöhnlichen Familie gepasst, sie bildet sich ja bis heute was drauf ein, eine
‚Ebenbauer‘ zu sein. Auch wenn ich damals, als das mit Rita und Georg
aufgekommen ist und ich weggebrochen bin wie so ein Strohhalm, zu ihr keinen
Kontakt hatte, habe ich später mitbekommen, dass sie sich während meiner Absenz
mit Rita sogar richtig befreundet hat. Was für ein Verrat. Erst Annabelle hat uns
wieder zusammengebracht. Trotzdem: wenn es um Georg und Rita geht, traue ich
ihr nicht über den Weg.
Gedanken, die wie Hunde von hier nach dort rennen und alles abschnüffeln, was "Fleisch am Wiener Knochen" hat. :--)
AntwortenLöschenDer Name "Friedensrichter" für ein Esslokal ist aussergewöhnlich, fast schon genial. Gibt es sowas oder hast du den Namen erfunden?
Lieben Gruss in den Tag,
Brigitte
Ja, dieses Lokal gibt es und das auch genau so, wie ich es beschrieben habe. Ausgenommen natürlich die Ich-Erzählerin, die Zwerge und diesen Georg. :)
LöschenLiebe Grüße (schon in Vorfreude aufs lange Wochenende!)
Andrea