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Schön is' g'wes'n

‚Schön is‘ g’wes‘n, nix is‘ g’scheh’n‘ - das ist vorbei‘, habe ich gestern meinem ehemaligen Lehrer geschrieben, und dass heutzutage andauernd was geschieht. Die andere Hälfte habe ich aber bei mir behalten. Vielleicht weil Halbzeit ist. Vielleicht weil ich erst einmal drüber schlafen musste. Worüber? Über die Gegenwart, die Zukunft, die Vergangenheit? Weil in Wirklichkeit nichts geschieht und schön ist es trotzdem nicht?

Ina hat heute früh Kaffee gemacht. Auch gestern war sie so, wie man sich eine Freundin vorstellt. Nein, besser. Weil man mit Ina nicht reden muss. Entweder sie versteht einen oder sie versteht einen nicht. Eine Sache der Tagesverfassung? Wenn ja, dann hat sie gestern einen guten Tag gehabt, gut für mich. Sie musste mich gehört haben oder sie hatte das Bild meines Vaters lang genug angestarrt, auf jeden Fall hat sie sich plötzlich umgedreht. Hat mich gesehen und ist auf mich zugelaufen. Sie hat mich einfach in die Arme genommen und dann haben wir geweint. Echt. So etwas passiert einem nur mit Ina, und nur mit Ina ist einem das später auch nicht peinlich. Ina ist eben so. Eine Künstlerseele auf zwei Beinen und mit zwei Armen und irgendwo wird sie wohl auch ein Herz haben. Bei einer wie Ina weiß man grundsätzlich nie, was geschieht. Aber es geschieht immer irgendwas und das ist dann ganz normal. Dann hat sie mir ihre neuesten Kreationen (glitzernd-verschlungene Ketten, ewig lang, wer trägt sowas?) und die e-mails der letzten Tage gezeigt: jede Menge Bestellungen, die meisten aus Amerika, aber auch aus Frankreich und England, Deutschland, einige auch aus Österreich. „Der Laden läuft“, hat sie gesagt und wir haben uns gefreut. Keine Sekunde habe ich daran gedacht, dass sie sich ja eine eigene Wohnung suchen könnte, wenn ihr Geschäft nun wirklich ins Laufen kommt. Ich habe gar nichts gedacht.

Ab heute ist es amtlich: Sommerbeginn, und in der Nacht hat eine Krähe minutenlang gekrächzt. Richtig laut. Wie ein böses Omen. Ich bin aufgestanden und habe das Fenster zugemacht, schlafen konnte ich trotzdem nicht. Die Krähe war immer noch zu hören und außerdem war es einfach zu heiß. Im Kopf Bilder von Menschenkarawanen. Schritt für Schritt ziehen sie in Tücher gehüllt und mit gesenkten Köpfen durch die Wüste zu uns nach Europa. Flankiert von Uniformierten. Soldaten mit Gewehren in der Hand. Wenn einer aus der Reihe fällt, wird geschossen. Die Köpfe stecken unter Helmen. Damals war das so und in meiner Wohnung haben damals Menschen gelebt, da war ihr Tod schon beschlossene Sache. Da sind sie hier nur zusammengesammelt worden und dann abtransportiert. Und meine Wohnung ist arisiert bis heute. Bis zu mir. In meiner Wohnung gab es diesen SS-Mann mit seinem Schreibtisch. Später ist dann der Baumeister dort gesessen. Und in meinem Schlafzimmer ist seine Geliebte gelegen. Eine ganze Wohnung nur für die Geliebte. Das hat mir die Frau aus dem ersten Stock erzählt. Sonst hat sie nichts gewusst. Das mit dem Schweigen ist der Deal. Immer noch und immer wieder. Nur wird heute lauter geschwiegen. Mit Bildern, Filmen und Filmchen, mit TV-Trara und was es da sonst noch so alles gibt. Alles dreht sich, alles bewegt sich. Nur wir nicht.

Auf den Bänken im Beserlpark sitzen Jugendliche (die Bettlerin ist verschwunden, ich habe sie schon lang nicht mehr gesehen), getrennt in Burschen und Mädchen wie bei uns früher in der Kirche. Immer wieder rufen sie einander etwas zu - auf Deutsch mit ziemlich heftigem Akzent. Alle haben ein Handy in der Hand, ein paar Mädchen stecken ihre Köpfe zusammen, kichern und lachen über das, das sie gerade am Display beobachten. Lachen noch lauter, heben den Kopf, um zu sehen, ob die Burschen das Kichern und Lachen auch gemerkt haben. Ob es eine Reaktion gibt. Gibt es nicht, zumindest nicht, solange ich an ihnen vorbeigehe. Die Burschen vergleichen irgendetwas auf ihren Handys. Nur einer von ihnen fährt sich, ohne die Augen zu heben, vorsichtig über die Haare. Ob die Frisur noch sitzt. Die Mädchen geben nicht auf, ich höre das laute Auflachen, da bin ich schon längst auf der Straße Richtung Büro. Als ich dort die Haustür aufsperre und in den Hausflur trete, höre ich es wieder. Drei Mädchen mit schwarz eingerahmten Augen und Lippen, mit pechschwarzen, zum Teil abrasierten Haaren, riesigen Löchern in den Ohren, schwarzen Hosen und T-Shirts kommen mir entgegen. Sie stecken wie die Mädchen von vorhin ihre Köpfe zusammen, kichern, lachen laut auf, wechseln ein paar Worte. Gepflegtes Hochdeutsch. Töchter aus gutem Haus mit ziemlich heftiger Attitüde. Wie kompliziert doch alles ist, denke ich. Und wie einfach.

 


 

   

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