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Über Schönreden und Geheimnisse

 „Wenn er sagt, dass er nichts schönreden will, kenn‘ ich mich schon aus“, sage ich zu Annemie, die zu meiner Erleichterung immer noch nicht genug hat von meinen Großer-Zauberer-Geschichten. „Da höre ich sofort nicht mehr zu, klapp, sind die Ohren dicht“, sage ich und Annemie nickt. „Oja, das kenne ich“, sagt sie und grinst, weil sie mich meint, was wieder einmal so ein Moment ist, in dem ich sie liebe, weil sie mich zum Lachen bringt. Über ihr Grinsen, aber auch über mich und übers Schönreden, das ich eigentlich hasse. Und weil ich grad dabei bin, lache ich auch über Georg, den Scheißkerl, und über die ganze Große-Zauberer-Geschichte und darüber, dass ich eben so bin, wie ich bin. „Was soll ich machen“, sage ich also. „Nichts sollst du machen“, sagt Annemie. „Soll er doch einmal machen.“ Es ist angenehm, im Freien zu sitzen. Ohne Masken. Ohne den großen Zauberer. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne irgendwelche depperten Geschichten. Es ist eh viel zu warm, genau genommen ist es sogar verdammt schwül. Ich bin fast erstickt am Weg in den Park, weil die Luft schon zum Zerplatzen voll gewesen ist mit Dieselgeruch, Zigarettenrauch, diversen Parfümdüften und dieser grausligen Mischung aus Schweiß und aufdringlichen Billigst-Deo-Gerüchen, dass ich fast keinen Sauerstoff mehr erwischt habe. Aber unter den Kastanien ist es jetzt angenehm. Sie haben einen guten Schatten. Friedlich, auch wenn alle Bänke besetzt sind und hinter uns am Gehweg halb Wien unterwegs ist. „Jeder von denen hat ein Geheimnis“, sage ich zu Annemie. „Und jede“, sagt sie. „Klar“, sage ich. „Außer es sind Touristen.“ In Wien hat nämlich jeder ein Geheimnis (mindestens eines), weil Österreich zwar in den großen Kriegen um ein Haar alles, sogar sich selbst verloren hat, weil wir uns in Wien aber das Entscheidende behalten haben: die Tapeten, die Tapetentüren und die Geheimnisse dahinter. Und das ist nicht nur in der Hofburg so. Wir haben jede Menge geheime Türen und dahinter jede Menge Geheimnisse, das hat sich schon der gute alte Freud zunutze gemacht. Und der Dritte Mann. Und wir haben je nach Möglichkeit auch immer kleinere oder auch größere Extrataschen für Extravergütungen dabei und gern auch ein paar Leichen im Keller. Die, die sich schwer tun mit dem Wiener-Sein, greifen halt nur ein bissl in die Vereinskasse und die ganz Hartnäckigen schieben sich das Geld dann nicht einmal in die eigene Tasche, sie zweckentfremden es nur und kommen damit der sogenannten roten Linie ganz schön nahe. Schönreden kann aber jeder. Ich glaube, dass es schon reicht, den Fuß über die Stadtgrenze zu setzen, da wächst in einem auch schon die Fähigkeit zum Schönreden und übers Jahr ist sie auf dem Wiener Niveau und das ist so hoch (die sogenannte „Wiener Benchmark“), dass sogar der liebe Gott samt seinen Engerln neidig wird, wie schön wir alles reden können. Von der schönen Leich‘ bis zum schönen Trottel, der sich erwischen hat lassen. Also ich habe meine Geheimnisse ja schon aus Niederösterreich mitgebracht, war also von hausaus eine ideale Wien-Kandidatin, bin nun also die ideale Wienerin. „Immerhin“, sage ich zu Annemie, die schon hier geboren ist und ein bisschen idealer ist, weil nicht sie, sondern schon ihre Eltern aus Oberösterreich nach Wien gekommen sind. Ganz sicher mit einem Sack Geheimnisse wie alle, die es nach Wien zieht.

 


Kommentare

  1. "Wien, Wien, nur du allein!" Das muss der Wiener Schmäh sein... :--)
    Einen lieben Morgengruss von einer Unkundigen,
    Brigitte

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