(...) In Wien kannst du vollkommen verschwinden und trotzdem quicklebendig bleiben. Du kannst auch in aller Herrgottsfrüh aus einem Hotel spaziert kommen, ziemlich zerknautscht und die letzte Nacht steht dir noch ins Gesicht geschrieben und es interessiert keinen. Du als Ganzer interessierst keinen und es ist auch vollkommen egal, was du gemacht hast und mit wem oder was du bleiben lassen wirst oder wen. Alles im grünen Bereich – außer wenn du, egal ob mit oder ohne Absicht, an einem anderen Wiener anstreifst. Leb du dein Leben und ich lebe mein Leben, aber nicht komm‘ mir von der Seite oder von sonstwo, weil dann ist es ganz schnell vorbei. ‚Toleranz ist, wenn man trotzdem lacht‘, denke ich, für alles andere bin ich zu müde. Als ich in meine Gasse einbiege, steht ein Müllwagen von der MA48 vor der Haustür und eine junge Frau, Marke blondes Langhaar-Fitnessmodel, springt gerade instagrammäßig in die Führerkabine. Nirgends Kameras oder Handys, die ist wie ihre orangene MA48-Montur echt. Ich überlege ganz automatisch, ob mir das in die Socialmedia-Kampagne passen könnte. Von wegen Empowerment. Aber dann fällt mir ein, dass ich mich ja krank gemeldet habe. Und als mich zuhause die Ebenbaueraugen schon erwarten („Wo warst du denn, stell dir vor, was passiert ist!“), weiß ich auch wieder warum. Ina ist wieder einmal außer sich. Der Habeler hat sich gemeldet und will sie zurück haben.
„Sorry
Ina, ich kann grad nicht“, sage ich, was sie gemein findet. Ich gehe trotzdem
in mein Schlafzimmer, ziehe mir das Kleid aus (es riecht nach gestern) und lege
mich ins Bett. Ich bin krank. „Abschiedskrank“, sage ich. Damit ich es nicht
vergesse, sage ich es gleich ein paar Mal hintereinander und werde schneller
und schneller, bis das „Abschiedskrank“ zu einem ständig wieder auflodernden
Zischeln und Krächzen zusammengeschmolzen ist. Am Fußende sitzen ein paar von
Annabells sieben Zwergen und hören mir interessiert zu. Manchmal nicken sie
sogar, als ob sie etwas verstehen und mir zustimmen würden. Die anderen? Die
sind in Hamburg. Halten Annabelle das Händchen, du weißt ja, die ersten großen
Operationen, die letzten großen Prüfungen. Ja, wir haben die Tage einmal
telefoniert. Bringt ihr sie mir zurück? Sie schütteln die Köpfe, bedauernd. Ich
schlage ein paar Mal auf die Decke, dass es mir die Zwerge verwirbelt, dann drehe
ich mich auf die Seite. Da steht jetzt eine
sehr lange, weiß eingedeckte Tafel, geschmückt mit vielen kleinen Sträußen aus duftigen
Blüten. Über der Tafel ein leichtes, ein flüchtiges Dach aus Weinranken. Männer
in hellen Anzügen und Frauen in fliegenden Sommerkleidern gibt es dort und dann
klatscht jemand in die Hände: „Messieurs dames, es ist angerichtet.“ Ich stehe
hinter einer Stehle, auch sie ist geschmückt (weiße, ganz zarte Blüten, Schleierkraut?).
Ich möchte mich dieser Sommergesellschaft anschließen, doch als ich an mir hinunterschaue,
sehe ich, dass ich nicht richtig angezogen bin. Viel zu warme Strumpfhosen, ein
gefilzter Rock (aufdringlich bunt gemustert und unförmig, wie alle gefilzten
Röcke) und ein uraltes, verwaschenes Sweatshirt, das ich aber wenigstens als meines
identifizieren kann. Als ich den Blick wieder hebe, ist die Gesellschaft verschwunden
(ich weiß jetzt: es wäre eine Hochzeitsgesellschaft gewesen), stattdessen
liegen dort jetzt Soldaten. Tot, einer neben dem anderen auf der verdorrten Wiese
aufgebreitet, und geduckt hinter Büschen hocken die, die noch leben, Gewehr im
Anschlag. Über die nun ganz löchrige Pergola (auch die Weinblätter sind verdorrt
und abgefallen) hat jemand ein Tarnnetz aus olivfarbenen Fetzen geworfen. Ich
höre das Klatschen und jemand (es ist der Erzähler aus der Rocky Horror Picture
Show) sagt: „Messieurs dames, der Schaden ist angerichtet!“ Es ist brütend
heiß. Ich rufe dem Erzähler irgendeinen Satz über den Krieg zu. Putin ist auch
vorgekommen und komischerweise auch Georg, aber da bin ich schon beim Aufwachen
und kann nicht mehr hören, was er antwortet. (...)
Mal sehen, ob es wieder klappt mit dem Kommentieren...
AntwortenLöschenDeine Erzählung ist sehr vielschichtig und wie im Halbschlaf verfasst mit Traumsequenzen und Versatzstücken. Das fordert die Aufmerksamkeit genauso wie den Versuch einer Einordnung. Und es ist neben Amüsamtem auch Happiges, Schweres dabei.
Einen lieben Heutegruss von Blog zu Blog,
Brigitte
Liebe Brigitte, ich habe nun umgestellt, sodass man auch anonym einen Kommentar verfassen kann. Wie ich sehe, hast du diesen Weg gewählt. Keine Ahnung, warum es da auf einmal diese Probleme mit dem Posten gibt. Großen Dank für deinen Kommentar. Er trifft, was ich mir auch denke. :) Die Einordnung, der Zusammenhang erschließt sich (hoffentlich ;) ), wenn der Text vollständig ist / sein wird.
LöschenLiebe Grüße, Andrea
Danke, Andrea. Ich bin auch froh, dass es wieder funktioniert.
AntwortenLöschenUnd jetzt schaue ich, ob es auch mit dem richtigen Kommentarnamen geht...