Wer hat von meinem
Tellerchen gegessen? Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten? Wer hat in
meinem Bettchen gelegen? Am Anfang war es
ein komisches Gefühl, an meinem Haus vorbeizugehen und zu wissen, dass da jetzt
eine andere Frau mit dem Mann wohnt, den ich geheiratet hatte. Ob sich viel verändert
hat seit meiner Zeit? Sicher. Sogar ganz sicher gab es nichts mehr in diesem
Haus, das an mich erinnerte. Wie es ja auch bald nichts mehr gab, das an die
Großmutter erinnerte, nachdem ich dort eingezogen war. Die Sachen sterben einem
einfach hinterher. Auch okay, denke ich heute, denn was soll der ganze Kram der
Gestorbenen mitten im Leben. Und Leben hatte sich der Mann, den ich geheiratet hatte,
besorgt, gleich vier Mal, zwei Mädchen und zwei Buben hat ihm seine neue Frau auf
die Welt gebracht. Zwei im Jahrestakt, zwei als Nachzügler. Für die Balance. Nebst
seinem Leben hat ihm das auch den Ruf gerettet, die Dorfjugend wird gar nicht
mehr nachgekommen sein, ihm den Plastikstorch und die überdimensionale
Glückwunschkarte vors Haus zu pflanzen. „Die Frau ist aber ein Drachen“, hat
meine Mutter gesagt. Ob sie dachte, dass mich das tröstet, oder ob sie sich selbst
damit trösten wollte (weswegen?), konnte ich nicht sagen und es hat mich auch
nicht interessiert. Mehr hätte mich der Dorftratsch über Georg und Rita
interessiert, aber da hat sie geschwiegen wie ein Grab. Aus Rache, vermute ich.
Weil Georg für sie samt seiner Rita gestorben war, weil irgendwann auch sie
mitbekommen haben wird, was damals los gewesen ist, als ich aus Griechenland
zurückgekommen bin. Dass er mich in einem Eck stehen lassen hat wie ein
Spielzeug, für das man eines Tages einfach zu alt geworden ist (das werde ich
ihm nie verzeihen, nie!) und dass er mich so das Medizinstudium gekostet hat. Einmal
hat sie gesagt: „Wegen einem Mann sein Leben aufzugeben, das ist das Allerletzte.“
Da hat sie über eine Frau geredet, die einer aus dem Dorf übers Internet
kennengelernt hat. Die in Deutschland alles aufgegeben hat und zu diesem Mann
gezogen ist. „Lieber ein Leben lang eine Fernbeziehung als das Leben
aufgeben!“, hat sie noch hinterher gesetzt und das klang direkt wütend. Ich
dachte mir damals, dass sie in Wirklichkeit über mich redet. Heute denke ich,
dass sie über sich geredet hat. Mein Vater war damals ja schon tot, Blutkrebs,
akute Leukämie. Bevor sie richtig begriffen hat, dass er krank ist, war er
schon gestorben. „Dein Vater war mein Leben!“, hat sie damals andauernd gesagt.
Wie eine Figur aus einem Rosamunde Pilcher-Film. Sie hat ja auch den halben Tag
ferngesehen, weil sie nicht wusste, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte so
ohne ihn. Ihr ist ja an dem Tag, an dem er gestorben ist, auch alles andere buchstäblich
aus den Händen gefallen. Sie hat sich nichts mehr gekocht, ich hatte
gelegentlich sogar die Befürchtung, dass sie sich nicht mehr regelmäßig wäscht.
Ich war jeden zweiten Tag bei ihr drüben habe ihr gut zugeredet und habe alles
erledigt, das zu erledigen war, bis sie mich dann eines Tages ordentlich
angezogen, geschminkt und nach Parfüm duftend in der Tür empfangen hat. Gekocht
hatte sie auch. „Es gibt Karottensuppe und Kaiserschmarrn. Wie früher, als dein
Vater noch gelebt hat!“, sagte sie und ich vermeinte, Triumph in ihrer Stimme
zu hören. Sie hatte den Tod besiegt, da würde sie den Rest auch noch
hinbekommen.
Ob doch was dran ist, wenn die Leute sagen, irgendwann wächst Gras über die Sache?
AntwortenLöschenWohl kaum. Aber Abzweigungen und Neuausrichtungen gibt es immer wieder im Leben, wie deine Erzählung anschaulich zeigt.
Einen nachdenklichen Gruss,
Brigitte
Jetzt hab ich grad "bei dir drüben" Schneeweißchen und Rosenrot "angetroffen" - und hier tummelt sich Schneewittchen. :))) Ein lustiges Zusammentreffen. Wie du zweifle ich sehr daran, dass über alles Gras wachsen kann. Über manches wachsen andere Sachen, könnte man sagen. :)
LöschenLiebe Grüße, Andrea