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Annabelle

Das Läuten musste in der Musik untergegangen sein (Gloria Gaynor, ganz laut), aber dass sich ein Schlüssel im Schloss gedreht hat, habe ich gehört. Das war vielleicht ein Schreck (Wer macht sich da am helllichten Tag an meiner Tür zu schaffen?), aber der Schreck ist in der Sekunde verflogen, als klar war, wer durch die Tür hereinkam. Mehr als ein „Jööö!“ habe ich zwar nicht herausgebracht, aber umarmt habe ich sie, als ob es kein Morgen gäbe: Annabelle! Sie habe Glück gehabt, ihr Flug sei nicht gecancelt worden wie so viele andere. Sie habe zwar einige Stunden am Flughafen verbringen müssen, damit sie auch tatsächlich mitgenommen wird, aber es habe geklappt. Schließlich sei sie nun ja da. „Wie schön!“, habe ich immer wieder gesagt – wenig einfallsreich wie immer, wenn ich sehr glücklich oder sehr traurig bin, und ein größeres Glück als einen Besuch meiner Annabelle kann ich mir gerade nicht vorstellen. „Komm rein, stell den Koffer ab, setz dich. Erzähl!“ Es geht ihr gut, das sehe ich sofort. Ihr Blick ist lebendig wie eh und je und auch sonst ist alles lebendig an ihr. Lebendig und neugierig. „Hier ist ja alles so, wie es gewesen ist!“, sagt sie. „Und du? Wie geht es dir? Alles in Ordnung?“, sie deutet auf ihre Brust. „Alles bestens Frau Doktor“, sage ich. „Neinnein, ich bin nur für deine Knochen, Gelenke und Bänder zuständig. Was dich halt so zusammenhält. Das seit kurzem aber auch ganz offiziell!“

Ich habe ihr gratuliert und sie gleich noch einmal umarmt, sie hat mir bis ins letzte Detail erzählt, wie die letzten Prüfungen abgelaufen sind, was für ein komisches Gefühl es gewesen sei, als sie plötzlich geschafft hatte, was jahrelang ihr Ziel gewesen war. Wie nett diese Norddeutschen seien, gar nicht so distanziert, wie immer behauptet wird (sie weiß nicht, dass sie auf der ganzen Welt nur freundliche Menschen treffen würde, ganz einfach weil sie Annabelle ist, nicht nur ein Sonnenschein, sondern ein Wunder). Alle im Spital hätten sich mit ihr gefreut, man habe ihr sogar ein kleines Fest ausgerichtet und sie mindestens hundert Mal gefragt, ob sie eh in Hamburg bleibe. Dass sie natürlich in Hamburg bleibe, schon allein wegen Jan. Jan. Natürlich musste sie mir auch alles über Jan erzählen und was ich hörte, bestätigte mir, was ich gesehen hatte. Annabelle ging es gut. Ging es auch gut mit ihrem Jan, den sie das nächste Mal sicher mitbringen würde. Es sei nicht so leicht, dass sie gleichzeitig mehrere Tage frei kriegen. „Da muss ich ja ein Doppelbett in dein Zimmer stellen!“, habe ich gesagt und Annabelle: „Warten wir erst mal ab.“ Ich habe ihr erzählt, dass ich einen neuen Job suche („Nein, ich komme trotzdem nicht nach Hamburg, ich bleibe in Wien!“) und dass vor kurzem Ina in ihrem Zimmer geschlafen hat. „Das habe ich mir schon gedacht“, hat Annabelle gesagt und eine Perle in die Höhe gehalten, die sie gefunden hat, als sie ihren Koffer ins Zimmer brachte. Ich habe ihr vom Habeler erzählt und dass Ina wieder bei ihm wohnt. Von Georg hat sie angefangen zu reden, dass er spät, aber doch jetzt als Ukraine-Russland - Experte groß Karriere mache. Dass sie sogar in Deutschland auf ihn angesprochen werde. Ich habe abgelenkt: auch ihren Großeltern gehe es gut, ich hätte sie unlängst gesehen, als ich im Haus meiner Mutter nach dem Rechten gesehen hatte.

„Und du?“, fragt Annabelle immer wieder. „Und du?“

„Alles gut“, sage ich und das stimmt auch. Jetzt stimmt es. 




Kommentare

  1. Wie schön, wenn das plötzliche Glück alles durchdringt.
    Alles gut - was für ein Statement!
    Mit lieben Grüssen,
    Brigitte

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    1. Ja! Einen "Schlag" wird die Erzählerin allerdings noch verkraften müssen, aber ein "Glück" kommt auch noch. :))) Und eine Hoffnung. :)))
      Ich bin in der Endphase ... was eh gut ist, weil ich ja auch noch bissl was anderes auch zu tun habe als zu schreiben ! :)))
      Liebe Grüße, Andrea

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