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Es ist Krieg, Baby

Ich habe Michael ins Gästezimmer gelegt. Ob ihn das Glockenläuten aufgeweckt hat? Doch, ja, es hat mich gefreut, dass er angerufen hat. ‚Willst was gelten, mach dich selten‘, denke ich, weil ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, dass mich seine Anrufe vor kurzem noch ziemlich genervt haben. Ich frage mich, ob ich eine bin, die auf Knopfdruck funktioniert. Keine schöne Vorstellung. Dass er dann auch wirklich zu mir herausgekommen ist („Magst nicht übers Wochenende kommen, in Wien ist es doch so heiß und hier steht das Haus leer!“) … gerechnet habe ich nicht damit. Ich schüttle mir die Bettdecke von den Beinen und stehe auf, um das Fenster zu schließen, bevor die Sonne richtig Kraft bekommt und mir das Zimmer wieder aufheizt. Ich lehne mich in die Morgenluft hinaus, schließe die Augen und atme tief ein. Ich schaue in den Garten. Die Bäume werfen lange, klare Schatten auf die Wiese, über dem Biotop fangen sich die ersten Sonnenstrahlen wie in einer Milchglaswolke. Zauberisch. Im Haselnussstrauch sitzt eine Amsel und starrt bewegungslos vor sich hin. Die Vögel sind jetzt nicht mehr so laut wie in der Morgendämmerung, wo sie mich mit ihren aufgeregten Rufen geweckt haben (als ob sie es nicht glauben könnten, dass es tatsächlich wieder Tag wird). Alles ist so friedlich, ich rieche sogar ganz zart den Jasmin, der auf der anderen Seite des Hauses steht, und doch weiß ich die ganze Zeit, dass unter mir jemand schläft, der nicht hierhergehört. Schon allein wie er sich gestern alles angeschaut hat mit seinen Augen, aus denen das Freundliche vor lauter Schauen so gut wie verschwunden war. ‚Es sind Es-Ist-Krieg-Baby-Zeiten‘, habe ich gedacht und dass es keine Ausnahmen gibt. Ich habe Michael dann in die ehemalige Ordination meines Vaters einquartiert. Meine Mutter hat dort vor ein paar Jahren im hinteren Teil ein Zimmer mit Bett und allem Drum und Dran eingerichtet, sogar mit einer kleinen Kochnische und einem Fernsehapparat („Falls ich einmal Pflege brauche, und den Platz habe ich ja“). Auch dort hat er sich alles genau angeschaut, als ob es ihn etwas anginge, als ob er nicht nur für eine Nacht hier schlafen würde. Ich habe mir aber nicht anmerken lassen, wie ich sein Benehmen finde, ich habe ihn einfach weiter durchs Haus und dann durch den Garten geführt. Ich wollte diese unangenehme Fremdheit, die sich über mich gelegt hatte in dem Moment, wo er bei der Gartentür hereingekommen ist, schließlich loswerden. Ob er schon wach ist? Zu hören ist nichts. Mich können die Glocken nicht aufwecken. Wer neben der Kirche aufgewachsen ist (‚Im Schatten des Kirchturms‘, denke ich), der wacht sein Lebtag nicht auf, nur weil irgendwelche Glocken läuten. Gewohnheit ist alles. Genau. Ich schließe das Fenster und ziehe das Rollo herunter, dann gehe ich in die Küche und schalte die Kaffeemaschine ein.  


 

Kommentare

  1. Seltener Besuch hat immer etwas Fremdes, Beunruhigendes an sich.
    Toll geschrieben wieder und wunderbar beobachtet.
    Ich lasse liebe Grüsse da.
    Brigitte

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