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Schluss

‚Ina hat Annabelle mitgebracht, wie ich mir eine Muschel vom Strand mitgenommen habe (damals vor weit über hundert Jahren, als ich noch ein Kind gewesen bin), damit ich das Rauschen vom Meer hören konnte, sogar zuhause im Dorf‘, denke ich, während ich das Männerhemd, in dem Annabelle schläft, sorgfältig falte und ihr unter den Kopfpolster lege. Auch wenn es nur mein eigenes Blut war, das ich gehört habe. Ich schüttle das Bettzeug auf und streiche es wieder glatt. Ich lege die Zeitschriften, die am Nachttisch liegen (irgendwas Medizinisches), Kante an Kante aufeinander. Ich stelle die Reisetasche in den rechten Winkel zur Wand. Annabelle ist schon wieder unterwegs. Alte Freunde treffen, auf die Donauinsel fahren, da gibt es am Abend irgendein Konzert, ich soll nicht auf sie warten, es wird spät werden. Ich gehe durch die stille Wohnung, bleibe vor dem Bild meines Vaters stehen. Verfolge die roten Linien. Da ist kein Geheimnis, kein geheimer Plan. Da sind Blutlinen, Lebenslinien. ‚Einfach aufs Papier geworfen, wie sie gefallen sind, so liegen sie da, unentwirrbar von hausaus‘, denke ich und habe seit Stunden (Tagen? Jahren?) das Gefühl, so richtig von oben bis unten durchatmen zu können. ‚Könnte ich mein Ohr an mich legen, ich würde mein Blut rauschen hören‘, denke ich, da läutet es an der Tür. Micha. 

„Warte doch bitte einen Moment!“ Ich laufe in die Wohnung zurück, fahre mir schnell mit der Bürste durch die Haare, greife nach seinem Sakko und lege es mir um die Schultern. Ich bleibe stehen, schließe die Augen, atme noch einmal tief ein und wieder aus. Ich höre mein Blut rauschen. Dann gehe ich so langsam, gehe ich mit soviel Bedacht zur Tür, als ob es das erste Mal wäre. Ich rufe: „Ich bin‘s schon!“ In den Sakkotaschen rascheln Annabelles Zwerge. „Es ist Krieg, Baby,“ sagt der Erste. „Gib acht auf dich“, sagt der Zweite. „Lass dir nichts gefallen“, sagt der Dritte, „Denk an Georg“, sagt der Vierte. „Denk an Annabelle“, sagt der Fünfte. „Lass es dir gut geh’n“, sagt der Sechste. „Geh endlich!“, sagt der Siebte.  





Kommentare

  1. Es hört sich nach Ankommen an und das ist wohl gut so. Klarheit und Neuaufbruch.
    Einen lieben Wochenendgruss,
    Brigitte

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    1. Danke für die Begleitung! :) Ein bissl was werde ich da und dort wohl noch ändern, ergänzen, wegstreichen, ... überarbeiten eben. Und dann sehe ich weiter. Fürs Erste bin ich sehr zufrieden, an diesem (zumindest vorläufigen) End-Punkt angekommen zu sein. :))
      Liebe Grüße, Andrea

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Save The Date: Herbsttermine

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