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Die Zukunft von Hermann (Ausschnitt)

Plötzlich steht Hermann da, in der Hand ein Aida-Schachterl, er hat sich zum Kaffee eingeladen. „Wie nett!“, lüge ich. „Ich war zufällig in der Gegend, da hab‘ ich mir gedacht, ich schau‘ wieder einmal bei dir vorbei“, lügt er. „Komm doch rein!“ Wenigstens habe ich seit Corona einen Grund, das BussiBussi abzulehnen. „Sei mir nicht bös‘, aber ich bin lieber vorsichtig.“ Ich deute auf mich: „Risikogruppe!“ Hermann lacht, weil er das für einen Witz hält, den er nicht verpassen will. Er werde in Zukunft nämlich nichts und niemanden mehr verpassen, erklärt er mir eine Viertelstunde später, als wir beim Kaffee und den Kardinalschnitten sitzen (immerhin sind’s Kardinalschnitten, das hat er sich wenigstens gemerkt) wie zwei alte Weiber, denen ohne Kaffee und Kardinalschnitte so fad wäre, dass sie sich gleich zum Sterben ins Bett legen müssten. „Es ist Krieg, Baby“, sagt Hermann auf einmal, wie immer ohne ein G’spür für irgendwas, und ich im Reflex: „Red‘ nicht so blöd daher.“ Weiß die Hölle, wo er das aufgeschnappt hat. Weiß die Hölle, warum er das gerade jetzt und gerade mir so herserviert, dass mir gleich die Kuchengabel in der Kardinalschnitte stecken bleibt. ‚Hermann, Baby, was willst du denn‘, denke ich, ‚du verpasst deine Zukunft doch eh schon dein ganzes Leben lang. Da macht das bisschen Krieg doch auch nichts mehr aus.‘ Ich wiederhole aber nur, dass er doch bitte nicht so blöd daherreden soll, wenn er mit mir redet. Er kennt solche Antworten von mir und ich will ihn nicht beunruhigen mit irgendwelchen neuen Sachen, er kommt eh auch ohne solche Ablenkungen schon nicht zurecht. „Was willst du denn nicht verpassen?“, frage ich also scheinheilig, da springt er wie von der Tarantel gestochen auf und hopst wild gestikulieren durch mein Wohnzimmer. Was für ein Energieausbruch! Da bin ich doch tatsächlich überrascht. Echt. Dass Hermann derart schnell von Null auf Hundert kommen kann, hätte ich im Leben nicht vermutet. Ich weiß allerdings nicht, ob ich dieses wüste Herumgehopse nun gut finden oder drüber lachen soll. Ich bin noch unentschieden, da sitzt mir das Lachen bereits im Hals und das ist gefährlich, weil es dort seit meiner Mandeloperation nichts mehr außer meinem guten Willen gibt, das es aufhalten könnte. Und mein guter Wille ist, was Hermann angeht, ziemlich limitiert. Um mich vom Lachreiz abzulenken, versuche ich mich auf das zu konzentrieren, das er von sich gibt, was aber echt schwer ist. Er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, leitet jeden seiner ohnehin schon extrem langweiligen Gedanken von den Urzeiten ihrer (und seiner) Existenz her, erklärt Hinter- und Vordergründe, bringt Vergleichsbeispiele und Nebengedanken, zitiert sämtliche alte Meister, die einem nur einfallen können. Es ist ein veritabler Ausbruch, ja ein regelrechter Exzess, was er mir da hinlegt – aber echt –, seine Bewegungen werden allerdings mit fortschreitender Zeit (und abnehmender Kondition) langsamer, schließlich zieht er seine Runden nur noch im Schleichgang und scheint mich dabei völlig vergessen zu haben, scheint sich nur noch für seine Zukunft zu interessieren. Und für meinen Teppich. Er ist nämlich peinlich genau darauf bedacht, den Teppich nicht zu verlassen, schon die Fransen am Rand meidet er, als ob das Parkett Feindesland wäre. Feindesland, das zur Ausgangstür führt. ‚Exit, mein lieber Hermann‘, denke ich und überlege, ob ich ihn womöglich bis zur Tür tragen werde müssen. Oder ob ich besser die Sackkarre aus dem Keller holen sollte, damit ich den guten Mann samt seiner Zukunft wieder aus meiner Wohnung kriege. 

 


 

 

Kommentare

  1. Da weiss man in der Tat nicht, ob man lachen oder weinen möchte, wenn solcher Besuch sich aufdrängt und nicht mehr weichen will. :--)
    Toll beschrieben von dir, das Dilemma.
    Was ich nicht kenne, sind "Kardinalschnitten", die gibt es hierzulande nicht. Dafür Crèmeschnitten oder Schwarzwäldertorte...
    Einen guten Wochenbeginn wünsche ich dir und hoffe, dass Hermann inzwischen wieder weg ist. :--)
    Lieben Gruss,
    Brigitte

    P.S.: Auf dein Buch warte ich nach wie vor. Sie haben mich erneut um Geduld gebeten. Sie hätten den Liefernaten nochmals kontaktiert und würden mich umgehend benachrichtigen, wenn das Buch eintreffe... Na dann.

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    1. Das ist ja ungut, dass sich das mit dem Buch so zieht! Hoffentlich geht da bald was voran!
      https://www.ichkoche.at/kardinalschnitte-rezept-215350 ... schmeckt nicht nur der Ich-Erzählerin sehr gut! :)))
      Der Besuch ist zum Glück ja nur aus einer Vielzahl von Erinnerungen geschöpft und in mein Projekt hineinmontiert. :))) In Wirklichkeit erwarte ich kommendes Wochenende sehr, sehr willkommenen Besuch! :)
      Danke für deine so freundliche Rückmeldung und liebe Grüße, Andrea

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  2. Das dachte ich mir schon. :--)
    (Besuche dieser Art kenne ich aus der Kindheit.)
    Und die Kardinalschnitte sieht sehr, sehr lecker aus. Danke fürs Zeigen.

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    1. Da hats du ja Glück, wenn du solche Besuche nur aus deiner Kindheit kennst ... ;)))

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