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Rathausmann und Gendern

Annemie findet, dass das Alter mehr Klarheit bringt, und ich finde, dass wir das doch noch gar nicht wissen können. Außerdem: „Klarheit, wer braucht denn sowas?“ Annemie darauf: „Ja, eh.“ Da liebe ich sie gleich wieder sehr und finde, dass sie immer noch ausschaut wie vor vielen, vielen Jahren. Keine einzige Falte. Wir sitzen in einem Cafe am Ring und schauen hinüber aufs Rathaus. Da steht der Rathausmann in Rüstung, mit Lanze und in spitz zulaufenden Rüstungsschuhen trotzig die Votivkirche überragend. „Ich bin gespannt, wann er gegendert wird“, sage ich zu Annemie, die das nicht so witzig findet wie ich. Annemie nimmt das mit dem Gendern nämlich ziemlich ernst. „Die gespitzten Schuhteile müsste man ihm als Erstes ausziehen, die schauen ja zu lächerlich aus“, sage ich, um für gute Stimmung zu sorgen, ich will heute keine Diskussionen. Der Kellner geht zum dritten Mal an unserem Tisch vorbei, wir sind noch nicht dran, heißt das, und weil wir Wienerinnen sind, wissen wir das auch. Nur die Touristen rufen in einem Kaffeehaus nach dem Kellner. Da müssen sie gleich drei Mal so lang warten und so kleinlaut können sie dann gar nicht sein und soviel Trinkgeld können sie dann gar nicht geben, dass sie ihm auch nur die Spur einer Freundlichkeit entlocken könnten. Weil das hier ein Touristenhotspot ist, nehmen es die Kellner ganz besonders genau mit dem Langsam- und Grantig- und Hier-Bestimme-Ich-Wer-Drankommt-Sein. Nie im Leben würde ich hier versuchen, einen Kellner auf mich und meinen Kaffeewunsch aufmerksam zu machen. „Aus der Hose müsste er auf jeden Fall aber auch raus, was glaubst, wie das scheppert!“, ich gendere also lieber den Rathausmann weiter vor mich hin, da fühlt sich der Kellner – seinen Blicken nach zu urteilen – irgendwo unter der Gürtellinie angesprochen und augenscheinlich belustigt ihn das genauso wie mich das Rathausmann-Gendern. Annemie muss jetzt auch lachen. Da steht der gute Mann schon an unserem Tisch: „Was wünschen die Damen?“ Empörte Blicke vom Nebentisch, ich schicke einen O-So-Sorry-Blick hinüber und sage zu Annemie:. „Ja doch, klar, dieses Gendern hat schon was.“  

 



Kommentare

  1. So ist das also. Wir waren zwar schon mal in Wien, aber wohl weniger in Cafés. An die Allüren der Kellner (von denen es wohl keine *innen gibt) müsste ich mich schwer gewöhnen. Ja, eh! :--)
    Lieben Sonntagsgruss,
    Brigitte

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    1. Ja, unsere Kellner sind in der Tat gewöhnungsbedürftig! :))) Und ja, Kellnerinnen dieser "traditionellen Variante" gibt es nicht.
      Sonntagsgrüße zurück, Andrea

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